erschienen in: Hartwich, Hans-Hermann und Göttrik Wewer (Hrsg.) Systemsteuerung und/oder Staatskunst? Reihe: Regieren in der Bundesrepublik, Bd. III, Opladen: Leske&Budrich, 1991, Seite 151 - 173   
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Regierung und Verwaltung als Organisatoren gesellschaftlicher Interessen [*]

Roland Czada 

1. Fragestellung

Daß Interessenorganisationen von Landwirtschaft und Gewerbe meist auf Gründungsinitiativen des Staates zurückgehen, ist für Historiker ein oft registriertes Detail. Beamte der Agrarverwaltung haben in den meisten deutschen Staaten an der Gründung und Führung landwirtschaftlicher Vereine mitgewirkt. "Die Bauern stellten ... anfangs nur einen sehr kleinen Prozentsatz der Mitglieder" (Ullmann 1988; 35). Maßgeblich für die personelle, organisatorische und finanzielle Förderung des landwirtschaftlichen Vereinswesens war seine Bedeutung für die staatliche Agrarpolitik. "In ihrem Rahmen fielen den Vereinen wichtige Aufgaben zu, denen die Verwaltungen entweder überhaupt nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand nachkommen konnten" (ebenda; 61).Politikwissenschaftliche Theorien erklären im Gegensatz dazu den Ursprung von Interessenorganisationen meist aus einem selbstorganisatorischen Gründungsakt oder auch nur als zwangsläufige Folge gesellschaftlicher Interessendifferenzierung. Die Virulenz sozialer und ökonomischer Konflikte ist für sie Ausgangspunkt der Verbandsbildung - und staatsgerichtete Einflußpolitik ihr Zweck. Der Anteil des Staates an der Organisation gesellschaftlicher Interessen erscheint demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Dieser "blinde Fleck" der Politikwissenschaft kann vermutlich selbst nur politisch, aus bestimmten Erkenntnisinteressen, erklärt werden. Für marxistische, an Bewegungsgesetzen des Kapitals und Klassenkämpfen orientierte Analysen ist die gesellschaftliche Konfliktdynamik stets Ausgangspunkt politischer Entwicklung gewesen. Gleiches gilt für die einflußtheoretische Schule des Gruppenpluralismus. Selbst die ältere konservative deutsche Staatsrechtslehre unterscheidet sich in diesem Punkt nicht grundlegend von ihren marxistischen oder pluralismustheoretischen Gegenentwürfen. Sozialer Gruppendruck ist auch eine Prämisse ihrer überlegungen. Die wesentlichen Unterschiede sind normativer Art: Worin die Staatsrechtslehre eine existentielle Bedrohung des im Staat aufgehobenen allgemeinen Willens fürchtet, begreift die Pluralismustheorie das "mutual adjustment" der mit gleichen Durchsetzungschancen ausgestatteten Gruppeninteressen als Innovationsmotor der Politik.Die folgenden überlegungen und Fallskizzen sind ein Versuch, sich aus der binären Logik des einflußtheoretischen Argumentes zu befreien. Dabei lautet die empirische Frage, ob es sich bei der staatlich angeleiteten Verbandsbildung im Agrarsektor um ein historisches Detail handelt, oder ob die staatlich initiierte und instrumentalisierte Organisation gesellschaftlicher Interessen auch heute noch zum Repertoire staatlicher Intervention gehört. Zunächst sollen aber der theoretische Ort und die politikwissenschaftliche Bedeutung dieser Fragestellung weiter umrissen werden.

2. Theorie: Netzwerke von Staat und Gesellschaft

Die Betonung des Gegensatzes von staatlicher Souveränität und gesellschaftlichem Gruppeneinfluß hat die staats- und politiktheoretische Forschung so nachhaltig und holzschnittartig geprägt, daß die Feinheiten von Staat-Gesellschaftsbeziehungen häufig nur verzerrt wahrgenommen werden können. Man gelangt dann leicht zur Vorstellung einer einfachen Kräftemechanik, in der Staat und Gesellschaft in Relationen von stark/schwach, schwach/stark oder als ausgeglichenes Kräfteverhältnis erscheinen (etwa C. Schmitt 1958, Katzenstein 1987, Fach/Simonis 1987, Atkinson/Coleman 1989). Dieser Kombinatorik liegt die überlegung zugrunde, daß Autonomiegewinne der einen Seite notwendig mit Autonomieverlusten ("Capture", Gefangennahme) der anderen verknüpft sind. Damit werden Autonomie und Capture als Endstationen eines Verteilungskonfliktes um Einfluß begriffen. Diese Sichtweise findet sich oft dort, wo die Sphärentrennung von Staat und Gesellschaft besonders hervorgehoben wird (vgl. etwa Blanke/Jürgens/Kastendiek 1975, Ronge 1980, Seibel 1990;210) [1].Gängige Beschreibungen der Beziehung von Staat und Gesellschaft - Pluralismus, Capture, Klientelismus, Korporatismus - täuschen leicht darüber hinweg, daß Autonomie und Abhängigkeit nicht als Alternativen zu begreifen sind, die sich gegenseitig ausschließen. Autonomie ist keineswegs gleichbedeutend mit Unabhängigkeit (das wäre Autarkie). Autonom ist vielmehr, wer die in sozialen Beziehungen immer vorhandene Abhängigkeit zum eigenen Vorteil nutzen kann. Selbst zwei voneinander abhängige Akteure können autonom sein, wenn ihre freiwillig eingegangene Beziehung gegenseitige Interessenbefriedigung ermöglicht! Ein starker, autonomer Staat bedeutet insofern nicht notwendig eine schwache, von staatlicher Direktive abhängige Gesellschaft. Ebensowenig folgt aus starker gesellschaftlicher Interessenorganisation automatisch eine Schwächung des Staates. Autonom ist, wer zu strategischer Interaktion befähigt ist. Eine Taxonomie von Staats-Gesellschaftsbeziehungen, die nicht als strategische Akteurskonstellation darstellbar ist, kann diese Einsicht nur schwer vermitteln.Die funktionalistische und systemtheoretische Heuristik beschreibt das Verhältnis von Staat und Gesellschaft als ein Problem der Ausdifferenzierung. Soziale Differenzierung ist jedoch nie total und zieht meist neue soziale Verknüpfungen nach sich. Die funktionalistische Systemtheorie kann das, was auf Differenzierung folgt - den "Brückenbau" zwischen Teilsystemen - nur unzureichend erfassen. Sie erlaubt deshalb nur einen oberflächlichen Einblick in die vielfältigen, zum Teil hochspezialisierten Netzwerke von Staat und Gesellschaft. Weiter führt ein Ansatz, der die Beziehungen von staatlichen Ressorts und gesellschaftlichen Organisationen als strategische Interaktion begreift [2]. Autonomie wird dann gleichbedeutend mit Strategiefähigkeit. Die strategischen Möglichkeiten unterschiedlichen Umgangs mit Abhängigkeit und damit Wege zur Steigerung von Autonomie hat Scharpf (1972, 1987, 1991) am Beispiel der Wirtschaftspolitik und mit Hilfe der Spieltheorie überzeugend dargelegt (vgl. auch Braun 1988). In diesem Kontext können Macht oder Einfluß nur eine - zudem sehr direkte und oft begrenzte - Möglichkeit autonomen Handelns eröffnen. Andere Faktoren, die Strategiefähigkeit bestimmen, treten ins Blickfeld: Unsicherheit, Wissen, Tauschmöglichkeiten, Regeln, Transaktionskosten, ja selbst die "Gunst der Stunde", ein Zeitfaktor also, welcher die genannten Faktoren in kontingenter Weise beeinflusst. Zwar kann Macht Unsicherheit oder Transaktionshemmnisse kompensieren, aber nur unter Hinnahme von Kosten, wie sie durch Realitätsverlust, hohen Kontrollaufwand und Effizienzeinbußen häufig im Gefolge von Machtausübung entstehen.Interessanterweise findet sich der Gegensatz von staatlicher Souveränität, bzw. Regierbarkeit und gesellschaftlichem Gruppeneinflußes auch in neueren ökonomischen Theorien der Interessenvermittlung (Olson 1982, Becker 1982) sowie in den "capture"-Theorien der Chicago-Schule der Regulation (Stigler 1971). Auch in diesen, der ökonomischen Neoklassik verpflichteten Ansätzen folgen die Beziehungen von Regierung und Interessengruppen einer einfachen Kräftemechanik. ähnliche Vorstellungen bestimmen Teile der Debatte um die Steuerungsfähigkeit moderner Industriegesellschaften ebenso die neuere staats- und institutionentheoretische Diskussion (Rueschemeyer/Evans/Skocpol 1985). Ich möchte im folgenden anhand von Beispielen die Grenzen dieser Erklärungsansätze illustrieren und sodann einige "Grenzüberschreitungen" wagen. Hier gibt es grundsätzlich zwei Wege: eine systemtheoretische überwindung der Staat-Gesellschafts Differenzierung, wie sie etwa von Wilke und Luhmann geboten wird, oder ein Ansatz der von strategischen Optionen und Interaktionsmustern staatlicher und gesellschaftlicher Akteure ausgeht. Ich möchte mich auf die letztere Variante konzentrieren und beziehe mich konzeptionell auf neuere Arbeiten von Fritz W. Scharpf (1988, 1989, 1991) und Gerhard Lehmbruch (1987, 1991).In kurzen Fallskizzen soll gezeigt werden, daß die bundesdeutschen Windkraft- und Solarinteressen unter Mithilfe des Bundeswirtschaftsministeriums organisiert wurden, so wie es vordem schon mit den Nuklearinteressen der Fall war. Gerade in der Forschungs- und Industriepolitik sind gesellschaftliche Organisationsstrukturen und politisches Handeln meist nicht durch einen klaren Gegensatz, sondern durch überlappende Interessen geprägt. Zu den überlappungen von Interessen hinzu kommen Handlungsrisiken bzw. Unsicherheiten und Interaktionsprobleme zwischen staatlichen Ressorts und gesellschaftlichen Organisationen. Damit ist nicht nur der Handlungskonsens, sondern schon die Präferenzbildung der einzelnen Teilnehmer derart erschweren, daß von einem vorgängigen klar erkennbaren Interesse nicht mehr ausgegangen werden kann. Im Prozess der Organisationsbildung führt diese Konstellation häufig zu staatliche Vorgaben und Initiativen. Sie dienen der Präferenzbildung und Organisation bisher unverbundener Interessen und fungieren häufig als ein Moment sozialer öffnung, in deren Verlauf neue Teilnehmer auftreten und Diskurse erweitert werden. [3] So haben staatliche Ressorts die sogenannte Atomlobby gegenüber den Kohleinteressen ebenso ins Spiel gebracht, wie Jahrzehnte später die alternativen Energieproduzenten und Belange des Umweltschutzes (Müller 1986). Bei näherem Hinsehen zeigt sich so anstelle der sozial geschlossenen, monopolistischen Struktur der Politikentwicklung ein Prozess, dessen Verlauf von widerstreitenden Strategien der öffnung und Schließung sozialer Netzwerke auf der Elitenebene bestimmt wird.Strategien der öffnung und Schließung finden sich vielfach in der Sozial- und Gesundheitspolitik (vgl. Czada/Lehmbruch 1990). Hier sollen sie am Fall der schweizer Aids-Politik illustriert werden. Sie wird vom eidgenössischen Gesundheitsamt finanziert und kontrolliert, aber von einem privaten, auf freiwilliger Mitgliedschaft basierenden Aids-Hilfe-Verein konzipiert und implementiert. Diese Praxis kann, gemessen an den eingriffsintensiven, geradezu drakonischen Traditionen der Seuchenpolitik als sozial offen, liberal und demokratisch bezeichnet werden. Sie ist jedoch keineswegs Ergebnis höherer demokratischer Gesinnung im Staat, sondern die Folge strategischen selbstinteressierten Handelns. Insgesamt stellen die folgenden empirischen Skizzen einen Versuch dar, Politik als strategisches Wahlhandeln zu verstehen. Die Interaktion staatlicher und gesellschaftlicher Akteure soll aus deren Präferenzen, institutionellen Rahmenbedingungen und strategischen Ressourcen erklärt werden.

3. Kernenergiepolitik [4]

In den fünfziger Jahren war die Bereitschaft der Elektrizitätswirtschaft in die Kernenergie zu investieren gering. Sowohl in den USA mit ihrem überangebot an billiger Energie aus Kohle und öl als auch in der Bundesrepublik mit starken Kohleinteressen, waren die EVUs nicht oder nur sehr zögernd bereit, Vorleistungen in der Forschung und Entwicklung zu erbringen oder gar Kernkraftwerke zu ordern (für die USA: Campbell 1986, 1988, für die Bundesrepublik: Radkau 1983:117, 120f.). In der Bundesrepublik waren gerade Mitte der fünfziger Jahre erhebliche Bergbauinvestitionen getätigt worden, die einen Einstieg in die Kernenergiewirtschaft, etwa des Stromriesen RWE, erst für eine ferne Zukunft realistisch erscheinen ließen. In den USA gab es Zweifel an der Wirtschaftlichkeit und technischen Beherrschbarkeit der Kernenergie. Die Administration mußte mit der Errichtung von fünf staatseigenen Kernkraftwerken, also einer Teilverstaatlichung der Elektrizitätswirtschaft drohen, um wenigstens einige Kraftwerksbestellungen zu erreichen. Dabei war eine Atomeuphorie in der Bevölkerung durchaus vorhanden, die von der Regierung, teils mit Hilfe von Organisationen der Herstellerfirmen, bewußt unterstützt wurde [5].In den USA betrieb die "Atomic Energy Commission", der auch die militärische Nutzung und die aus dem "Manhattan Project" hervorgegangenen "National Laboratories" unterstellt waren, in den fünfziger Jahren eine umfassende Interessenorganisation der Kernenergiewirtschaft. Vor allem die Nuclear Navy war an einem kostengünstigen Bezug von Kernreaktoren interessiert und hatte über die National Laboratories bereits enge Beziehungen zu den Herstellerfirmen aufgebaut. Das im AEC, der Nuclear Navy, und dem zuständigen Kongreßausschuß (Joint Commitee of Atomic Energy, JCAE) konzentrierte Interesse des Staates an einem Ausbau der zivilen Kernenergiewirtschaft ist durch die Bildung einer an die National Laboratories angebundenen "clan-struktur" verbreitert und schließlich durchgesetzt worden. Ausgangspunkt waren zahlreiche auf staatliche Initiative, oft mit öffentlichen Mitteln veranstaltete Kongresse, Symposien, Kommissionen etc., welche als Brückenköpfe fungieren und so die staatliche Politik in die relevanten Kreise der Gesellschaft hineintragen sollten.Die lose "clan-struktur" der um die "National Laboratories", das "Atomic Industrial Forum" und die "Nuclear Navy" angesiedelten amerikanischen Nuklearinteressen blieb bis zum Ende der siebziger Jahre bestimmend. Nachem bereits Mitte dieses Jahrzehnts die staatliche Zuständigkeitsstruktur vollständig reformiert worden war (v.a. 1975 Auflösung des als zu mächtig empfundenen JCAE, übertragung der zivilen Atomaufsicht auf die neugeschaffene "Nuclear Energy Commission), folgte ab 1979 eine vollständige Neuordnung der Interessenvertretungsstruktur, die, lange vorausgeplant, durch die Kernschmelzen von Three Mile Island (TMI) und Tschernobyl noch beschleunigt wurde.Der Aufbau der neuen Vertretungsstruktur, insbesondere des "Institute of Nuclear Power Operations" (INPO), wurde in einem soziales Netzwerk konzipiert und ausgeführt, das von der Nuclear Navy geknüpft worden war und sich personell auf deren kommandierenden Admiral Hyman Rickover konzentrierte. Ihn bestellte sein früherer Seekadett, der spätere Präsident Carter 1979 zum Berater in Kernkraftfragen. Gleichzeitig hatte Rickover einen 200 000 Dollar-Beratervertrag mit der TMI-Betreibergesellschaft "Metropolitan Edison". Er unterhielt auch Kontakte zu frühereren Mitarbeitern der elitären Rickover-Group [6], die aus der Navy in die Vorstandetagen der Kraftwerksbetreiber übergewechselt waren. Außerdem hatte der charismatische Admiral [7] als Gründer und Ausbilder an der "Oak-Ridge-Schule für Kraftwerkspersonal", die dem gleichnahmigen "National Laboratory" angegliedert war, ein Netzwerk der ehemaligen Lehrgangsteilnehmer aufgebaut, das in alle wichtigen Betreiberunternehmen hineinreichte. Aus seiner Schule und aus der Nuclear Navy sollte sich personell die neue, stark ausdifferenzierte Verbandsstruktur des Nuklearsektors speisen. Ende der achtziger Jahre waren sowohl der State Secretary im Department of Energy , Watkins als auch der Sprecher der Nuclear Regulatory Commission , Carr, Admirale der Navy. Die Abteilungsleiter der neuen, auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Verbände oder besser "überwachungsvereine" (Institute of Nuclear Power Operations und Nuclear Management and Resources Council), entstammten meist ebenfalls der Nuclear Navy. Der Staat hatte damit zum Aufbau eines in der öffentlichkeit als Selbstorganisation gefeierten privaten Netzwerkes der Sicherheitsregulierung beigetragen.INPO ist eine "Regulierungsorganisation" der Regulierten. Sie erhebt umfangreiche Betriebs- und Sicherheitsdaten ihrer Mitgliedsfirmen, die aufbereitet und über eine Datenbank on-line den Mitgliedern verfügbar gemacht werden [8]. INPO hat einen eigenen Performanzindikator für Atomkraftwerke entwickelt, der Sicherheit und Effektivität der Anlagen umfasst. Die Organisation vermeidet den engen Kontakt mit der NRC, insbesondere in Fragen von Regulierungsstandards und ihrer Veränderung. Sie möchte sich vor ihren Mitgliedern nicht dem Verdacht auszusetzen, auf diese Weise indirekt zu einer Verschärfung der staatlichen Regulierung beizutragen. Als Organisationssitz wurde deshalb nicht Washington, sondern Atlanta, Georgia, gewählt.Es bedurfte eines Gesetzes und der Zustimmung der Versicherungswirtschaft, um INPO auf eine solide Organisationsbasis zu stellen. Zunächst, anfangs der 80er Jahre, war es nur "a very shaky enterprise" (Interview: Miro Todorovich). Insbesondere kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Herstellerindustrie und Kraftwerksbetreibern in Fragen der sicherheitstechnischen Nachrüstung von Kernkraftwerken. Erst die Novellierung des Price-Anderson Acts 1985, die es den Versicherern von Nuklearanlagen erlaubte in Abstimmung mit der staatlichen Risikoabdeckung eine Rabattstaffel für die Versicherungsprämien der Betreiber einzuführen, brachte für INPO den Erfolg. Die Organisation gibt seitdem ihre Sicherheitsratings einzelner Kraftwerke (Skala von 1 bis 5) an die Versicherer weiter und entscheidet damit über die Eingruppierung in "Störfallfreiheitsklassen". Es gibt demnach einen starken, auf staatlicher Gesetzgebung basierenden Anreiz für die einzelnen Betreiber, die Selbstregulierung durch die INPO nicht zu konterkarieren oder gar aus INPO auszutreten. Gleichzeitig machte der Price-Anderson Act INPO und die staatliche Regulierungsbehörde NRC zu Komplizen; es entstand eine Art "Sicherheitspartnerschaft".Trotz der prekären Interessenkonstellation werden zwischen INPO und NRC zunehmend Informationen über den Sicherheitsstand einzelner Kraftwerke ausgetauscht, "um einen weiteren Unfall zu vermeiden" (Tom Price, NUMARC). Dies führte freilich zu einer Schließung der ansonsten außerordentlich offenen US-Regulierungspraxis. Durch Gerichtsentscheid nach einer Klage der "Union of Concerned Scientists" (UCS) auf Herausgabe der INPO-Erhebungen ist die NRC von der nach dem "Atomic Energy Act" und dem "Freedom of Information Act" gebotenen Veröffentlichung aller Konstruktions- und Prüfungsunterlagen von zivilen Nuklearanlagen im Falle der vertraulichen übermittlungen durch INPO nicht nur freigestellt; es ist ihr sogar untersagt, dieses "Privateigentum" an die öffentlichkeit weiterzugeben. Damit ist Industrie und Regulierungsbehörde - unintendiert(!?) - ein erheblicher Strategievorteil in der Auseinandersetzung mit Nuklearkritikern zugefallen. Es läßt sich zum Ende der achtziger Jahre ein wachsendes Vertrauensverhältnis zwischen NRC und den Betreibern feststellen, das sich auch in weiteren Organisationsänderungen niederschlug (siehe Details zu dieser Entwicklung: Czada 1990). Insgesamt kann von einer autonomen Selbstorganisation der unmittelbar betroffenen Interessen, auch wenn es nach außen so scheinen mag, keine Rede sein.

4. Aids Politik

Wenn Regierungen und staatliche Verwaltungen - wozu, wie wir sahen, in den USA die Militärbürokratie zu zählen ist - verbandliche Interessenorganisation für ihre Zwecke nutzen, stellt sich die Frage, in welchen Politikfeldern und Aufgabenbereichen dies typischerweise geschieht. Die Vermutung liegt nahe, daß es um bestimmte Probleme und Aufgaben geht, deren Bearbeitung staatlicher Politik und Verwaltung verschlossen bleiben. So kann die Instrumentalisierung des Deutschen Atomforums für propagandistische Zwecke der Regierung darauf zurückgeführt werden, daß im Konfliktfall, etwa zwischen öffentlichen Gebietskörperschaften, diese nicht jeweils direkt, etwa durch öffentlichen Aufruf, die Unterstützung gesellschaftlicher Gruppen suchen können (siehe Fußnote 1). Die Auslagerung einer Informations- und Kommunikationsfunktion auf gesellschaftliche Gruppen bildet einen der häufigsten Anlässe für die Instrumentalisierung von Verbänden. Abteilungsleiter in Ministerien berichten etwa, daß Fachverbände gelegentlich telefonisch auf Aktivitäten der Regierung hingewiesen und gebeten werden, diese ihrerseits durch die Abhaltung einer Pressekonferenz zu unterstützen.Eine subtile, in Ursachen und Wirkungen über die Konsensmobilisierung oder auch nur legitimatorische Absicherung für Regierungspolitik weit hinausgehende Einbindung von gesellschaftlicher Interessenorganisation findet sich in der schweizer Aids-Politik. Der gesamtschweizerische "Aids-Hilfe-Verein" ist aufgrund von institutionellen Eigenheiten des schweizer Regierungssystems, insbesondere des durch kantonale Zuständigkeiten fragmentierten Gesundheitssystems, zum Träger der wichtigsten Maßnahmen dieser Politik geworden.Die Schweiz gehört zu den Vorreitern einer aktiven und umfassenden Aids-Politik. Als Land mit extrem fragentierter Struktur der Gesundheitsverwaltung müßte sie eigentlich zu den Nachzüglern der Aids-Prävention gehören (vgl. Czada/Czada-Friedrich 1990). Die Erklärung ihrer Vorreiterrolle liegt in den proporzdemokratisch-korporativen Traditionen eines Systems, dessen Administration koevolutiv zu gesellschaftlicher Selbstorganisation historisch entstanden ist [9], und dessen politische Entfaltungsspielräume in allen Politikbereichen stark von gesellschaftlicher Selbstorganisation bestimmt sind. So beantragte das eidgenössische Gesundsheitsamt unmittelbar nach der Gründung eine Mitgliedschaft in dem privat initiierten schweizer Aids-Hilfe Verein. Nach anfänglicher Beobachtung der Gruppe wurden ihr wesentliche Teile der Konzeption und Ausführung der gesamtschweizer Aids-Kampagne übertragen. Die Selbsthilfeorganisation wurde so zu einer parastaatlichen Einrichtung. Dieses Einklinken des eidgenössischen Gesundheitsamts in die Aids-Hilfe der Schweiz und die gemeinsame Ausführung einer im wesentlichen von der Aids-Hilfe konzipierten Aufklärungskampagne entspricht ganz den Verwaltungstraditionen des Landes [10].Hinzu kam im Fall der Aids-Politik ein Moment strategischen Wahlhandelns. Das schweizer Bundesamt für das Gesundheitswesen konnte aufgrund kantonaler Zuständigkeit ohne Anwendung bestehender Seuchengesetze keine gesamtschweizerische Aids-Kampagne konzipieren und ausführen. Ein Konsens der Kantone - vom modernen Genf bis zum konservativen Appenzell-Innerrhoden - wäre im Bereich der Aids-Aufklärung mit ihrer Nähe zum Drogen-, Intim- und Schambereich an heterogenen Moralvorstellungen gescheitert. Das Bundesamt für Gesundheitswesen hätte weder für Kondome werben, sie herstellen oder gar verteilen können. Der schweizer Aids-Hilfe-Verein mit seiner "Hot Rubber Company" tut all dies in der Gesamtschweiz mit öffentlicher Förderung.Der schweizer Staat konnte also durch die Unterstützung einer nationalen AIDS-Hilfeorganisation die föderativen Hürden überspringen und auf Umwegen seine Präventionsstrategie durchsetzen. Damit konnte die zentralstaatliche Fachbehörde "am Dienstweg vorbei" und unter Umgehung seuchenrechtlicher Probleme ihre Politik bis in lokale Initiativen hineintragen. Die Parallele zur Instrumentalisierung des Deutschen Atomforums im Umgang des Atomministeriums mit der Schwarzwaldgemeinde Menzenschwand ist augenfällig. Es geht hier um Einstellungs- und Verhaltensänderungen in der Bevölkerung, für die zu werben für den Staat mit einer unerlaubten oder wenig opportun erscheinenden Parteinahme verbunden gewesen wäre.

5. Staat und organisierte Präferenzbildung in der Industriepolitik

Am Beispiel der Industrie-, Wirtschafts- und Forschungspolitik läßt sich zeigen, daß die staatliche Organisation der Gesellschaft sich am nachhaltigsten auf der Eliten- und Expertenebene, unter weitgehendem Ausschluß der breiten öffentlichkeit vollzieht. Die Bildung von sozialen Netzwerken auf dem Kernenergiesektor, der Mikroelektronik oder der Telekommunikationspolitik sind oft von Institutionen der staatlichen Forschungsförderung ausgegangen.Die eingangs dargestellte Organisation des US-Kernenergiesektors durch Clan-Bildung im Umfeld der "National Laboratories" ist paradigmatisch für diesen Vorgang. In ähnlicher Weise ist in der bundesdeutschen Telekommunikationspolitik 1974 vom damaligen Forschungsminister Ehmke die KtK-Kommission (Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationswesens) berufen worden. In ihr waren Herstellerunternehmen, die Post, die Rundfunkanstalten und diesen Akteuren jeweils mehr oder weniger verbundene Experten vertreten. Dieses Netzwerk hat Medien- und Telekommunikationsinteressen zum Zweck der Konsensmobilisierung für eine zukünftige Gestaltung des Telekommunikationssektors zusammengeführt. Seine über den vorgelegten KtK-Bericht hinausreichende Wirksamkeit sollte bis in die Mitte der achtziger Jahre, als längst ganz andere aus der Mikroelektronik und Datenkommunikation herrührende Problemkonstellationen vorlagen, die Politik in diesem Sektor prägen [11].Als Probleme der Informationstechnik die medienpolitischen Aspekte der Telekommunikationspolitik verdrängt hatten, war es wiederum das Bundesforschungsministerium, das initiativ wurde. Es begann das Netzwerk "Informationstechnik 2000" mit den Arbeitskreisen "Industrieelektronik", "Mikroelektronik", "Informationsverarbeitung" und "Technische Kommunikation/Unterhaltungselektronik" aufzubauen [12]. Der letztgenannte Arbeitskreis kann als funktionaler Nachfolger der KtK-Kommission angesehen werden. Insgesamt hat aber eine soziale öffnung gegenüber vorangehenden Initiativen stattgefunden. Diese öffnung hätte aus autonomer gesellschaftlicher Selbstorganisation nicht entstehen können. Folgt man den Erkenntissen ökonomischer Verbandstheorien, ist es eher unwahrscheinlich, daß umfassende, sektor-übergreifende Interessen ohne äußere Einwirkung organisierbar sind.Der Anreiz für einen marktwirtschaftlich orientierten Maschinenbauunternehmer in eine Organisation zu investieren, in der die Halbleiterindustrie nebst ihren Zulieferern, die neu entstehenden und noch kaum organisierten Softwarehersteller, und die Post, Kabelindustrie ebenso wie die Rundfunkanstaltem vertreten sind, kann als äußerst gering gelten. Selbst wenn man unterstellt, daß Verbandseliten als politische Unternehmer in weiser Vorausschau diesen Weg verfolgen, sind die Hürden vor einer so umfassenden Selbstorganisation sehr hoch; besonders da es sich hier um sektoral segmentierte und darüber hinaus intern noch weiter ausdifferenzierte Spezialinteressen handelt. Ohne auf den organisatorischen Aufwand und die Trägheitsmomente in den Innen- und Außenbeziehungen verfestigter Gruppen einzugehen, reicht hier allein der Hinweis auf das "Schwarzfahrerproblem" um die Schwierigkeit umfassender Interessenorganisation zur Bereitstellung eines kollektiven Gutes zu verdeutlichen.Umfassende Interessenorganisation ist eine eher unwahrscheinliche Folge gemeinsamer Gruppeninteressen (Olson 1965). Noch unwahrscheinlicher erscheint sie in einem Bereich, der nicht gegenwärtige, sondern mögliche zukünftige Interessenkonvergenzen betrifft. Die Aufgabe von Verbänden läge dann darin, die Gemeinsamkeit von Akteurspräferenzen erst zu testen oder ein gemeinsames Interesse erst herzustellen. Historische Parallelen finden sich immer dann, wenn es um größere Entwicklungsvorhaben, wie die Reform landwirtschaftlicher Anbaumethoden, den Eisenbahnbau oder neue Energietechnologien geht. Gerade in diesem Bereich, wo in einer Wettbewerbswirtschaft die Feststellung der verbindenden Interessen im Vordergrund steht, ist Interessenorganisation auf der Basis gleich starker Einzelakteure erschwert. Viel eher könnten eine hegemoniale Kräftestruktur oder die vom Staat verordnete Zwangsmitgliedschaft (Kammerorganisation, gesetzlicher Zwang oder Anreiz etwa zur Stromverbundwirtschaft o.ä.) die Probleme dauerhafter freiwilliger Interessenorganisation von ökonomischen Konkurrenten überwinden.Gerade in turbulenten sozialen Umwelten können einzelne Akteure ihre Präferenzen nicht immer eindeutig bestimmen. Dies ist häufig die Situation von Netzwerken in der Forschungs- und Technologiepolitik. Sie dienen der Präferenzbildung unter Bedingungen von Unsicherheit. In Ländern in denen der Staat einen Großteil der Forschungsinfrastruktur bereitstellt, kommt ihm schon deshalb die Rolle des Initiators solcher Akteursnetzwerke zu, die - direkt oder indirekt - wiederum die "Selbst"-Organisation gesellschaftlicher Sektoren beeinflussen.

6. Direkter Staatseingriff

Gelegentlich kommt es auch direkt zur Schaffung gesellschaftlicher Brückenköpfe durch staatliche Verwaltungen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist das "Forum für Zukunftsenergien" , das vom Bundeswirtschaftsminister initiiert und finanziell gefördert wurde. Er hat "einen Gründerkreis aus Wissenschaft, Industrie, Verwaltung und Politik zusammengerufen und eine Anstoßfinanzierung in Aussicht gestellt" [13]. Am 15. Juni 1989 wurde der Verband von 29 ausgesuchten Repräsentanten des Energiesektors mit dem Ziel gegründet, einen Dialog zwischen verschiedenen Energieträgern herbeizuführen. Es besteht heute aus 180 Mitgliedern, darunter 56 Unternehmen und 40 Verbände und Organisationen sowie individuelle Mitglieder. Die befassten Ministerien des Bundes und der Länder haben satzungsgemäß Zutritt. Das Kräfteverhältnis läßt sich aus der Mitgliederverteilung ablesen: die Hälfte sind Versorgungsinteressen, ein Drittel Herstellerinteressen, der Rest Wissenschaft, Staat, Verbraucher.Ursprüngliches Ziel der Inititiative des Ministerialabteilung "Erneuerbare Energien" war es indessen, die zersplitterten Interessen der Hersteller von Anlagen zur Gewinnung von Alternativenergien - hauptsächlich Solarenergie und Windkraft - zusammenzufassen. Damit sollte aus der Sicht des Referates im Wirtschaftsministerium ein Ansprechpartner in dieser wenig organisierten Wirtschaftsbranche sowie ein Gegengewicht zum "Atomforum" geschaffen werden. Es wurde sogar daran gedacht den Namen "Solarforum" zu wählen. Dies ressortpolitische Ziel konnte von den Vertreteren der Nuklearinteressen im Ministerium verhindert werden. Sie forderten die Anerkennung und Beteiligung der Kernenergie als zukunftsorientierte und saubere Energiequelle. Die Elektrizitätsversorger, ohne deren Beteiligung ein "Solarforum" wirkungslos geblieben wäre, machten die Mitarbeit von der Vertretung aller in ihrem Bereich gebräuchlichen Energieträger abhängig. So wurde ein prominentes Mitglied des "Atomforums" Aufsichtsratsmitglied der Asea-BBC und Vorsitzender des Gesamtverbandes der Technischen überwachungsvereine, Herbert Gassert, Vorstandsmitglied und Vertreter der Nuklearengergie im "Forum für Zukunftsenergien". Die Kernenergiewirtschaft sah sich in der prekären Lage, die Beteiligung an einem Gremium fordern zu müssen, daß sie als "überflüssig" erachtete, und in das sie, genau besehen, mit sanftem Druck "hineingezwungen" wurde. [14]Das "Forum für Zukunftsenergien" zeigt, wie aus binnenpluralistischen Anpassungsprozessen zwischen staatlichen Ressorts ein "organisierter Verbändepluralismus" im gesellschaftlichen Bereich entsteht. Dabei war die den Akteuren gemeinsame, wenngleich in vertrackter Weise aufgezwungene, Strategie auf eine interessenpolitische öffnung geschlossener Repräsentationsstrukturen angelegt. Zunächst sollte einem noch schwach vertretenen Interesse zu größerer Berücksichtigung verholfen werden. Das monopolistische Gegeninteresse konnte sich dem kaum entziehen, wenn es nicht den Ausschluß aus einem staatlich geförderten Gremium risikieren wollte. Das "Forum für Zukunftsenergien" kann freilich, wenn dort die Phase der Präferenzbildung und Konsensmobilisierung abgeschlossen sein wird und die industriellen Solarinteressen innerhalb der Hersteller- und Betreiberunternehmen stärker werden sollten, zu einer neuen, das "Atomforum" ergänzenden oder ihm entgegengesetzten "Energielobby" werden.Staatliche Organisation der Gesellschaft heißt nicht, daß damit gesellschaftliche "Einflußpolitik" unterbunden werden soll. Im Gegenteil, sie kann ebenso als Ermunterung gesellschaftlicher Einflußpolitik verstanden werden. Insofern handelt es sich bei den hier skizzierten Fällen weder um Fälle von "Neo-Korporatismus" noch lediglich um eine Umkehrung der pluralistischen Einflußvektoren von den Verbänden zum Staat.Das Konzept korporatistischer Interessenvermittlung basiert auf einer Vorstellung von Systempolitik, wobei Regierungen und beteiligte Interessen zur Erreichung eines vorher bekannten und akzeptierten Systemzieles - Geldwertstabilität, Kostendämpfung im Gesundheitswesen, etc. - ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Die hier angesprochene staatliche Organisation oder Desorganisation gesellschaftlicher Interessen ist strategisch anders einzuordnen. Der Druck, den das Bundeswirtschaftsministerium zugunsten der Organisation von Gegeninteressen ausgeübt hat, ist nicht im Rahmen des Korporatismuskonzeptes erklärbar: Der Staat förderte gesellschaftliche Interessenorganisation um sich damit gewollt ihrem Einfluß zum Zwecke der konsensuellen Präferenzbildung auszusetzen. Damit verbunden ist, anders als in Fällen eines "gereiften" korporatistischen Elitenkartells, meist die Strategie einer interessenpolitischen öffnung. Staatliche Politik sorgt gewissermaßen dafür, daß die von Olson (1965) für unmöglich erklärte pluralistische Konflikt- und Organisationsdynamik doch noch zum Zuge kommt, wenngleich nur als Kind staatlicher Sorge und weniger als Prozess gesellschaftlicher Selbstorganisation. Konzepte eines pluralistischen Interessengleichgewichts und der systemtheoretischen Autopoiesis können die Beweggründe der Politik nicht aufklären [15]. Letzteres sollte nun gerade in der Politikwissenschaft ein zentrales Anliegen sein, wo es weniger um die eigenlogische übersetzung von Mikro-Verhalten in Makro-Strukturen geht, als um die aktive Beeinflussung und Gestaltung von synergetischen sozialen Prozessen (Windhoff-Héritier/Czada 1991).Wenn man Regierung und Verwaltung als Akteure versteht, deren Aufgabe es ist, die gesellschaftliche Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu lenken, dann stellt sich die Frage nach ihren Handlungsoptionen im Umgang mit entweder nur tranistorisch verbundenen oder fest organisierten in jedem Fall aber selbstinteressierten gesellschaftlichen Akteuren. Solange Präferenz- und Konsensbildungsprozesse im Vordergrund stehen kann meist von einem gemeinsamen Interesse aller Beteiligten an der Klärung unsicherer Handlungsbedingungen ausgegangen werden. In solchen Fällen interveniert meist nicht der politische Staat gegen die an Eigenständigkeit interessierte Gesellschaft. Es gibt indes zahlreiche Konfliktlagen, in denen sich Interaktionsprobleme zuspitzen, weil einzelne Akteursgruppen direkte Verluste oder interne Probleme in ihrer Mitgliedschaft befürchten müssen. In dieser Situation werden insbesondere private Akteure gegenseitige Abhängigkeiten mehr als Fessel denn als Möglichkeit zur langfristigen Sicherung gemeinsamer Handlungsräume betrachten. Für staatliche Akteure gilt dies nicht im selben Ausmaß. Erstens sind für nicht-marktliche Akteure die Kosten einer Entorganisierung ihrer gesellschaftlichen Umwelt ungleich höher; zweitens lassen sich im Staat interne Resortkonflikte leichter organisatorisch abarbeiten oder büropluralistisch neutralisieren, als Verteilungskonflikte zwischen oder innerhalb von Verbänden mit freiwilliger Mitgliedschaft. Insbesondere sind staatliche Ressorts bestrebt, ihre Informationsprobleme durch Bildung eigener Expertise oder auf dem Wege "administrativer Interessenvermittlung" zu lösen.

7. Formen und Folgen der Abhängigkeit des Interventionsstaates von verbandlicher Expertise

Neben Funktionen der Präferenzbildung, Handlungsabstimmung und Konfliktschlichtung ermöglichen Netzwerke aus Staatsverwaltungen und gesellschaftlichen Interessenverbänden die Indienstnahme von Verbänden für Zwecke staatlicher Informationsgewinnung und Aufgabenerfüllung. In der Verbändeforschung findet sich häufig das Argument, staatliche Politik sei auf verbandliche Expertise angewiesen, und deshalb werde die Inkorporation vordem freier Interessenverbände in Politik und Verwaltung zur funktionalen Notwendigkeit (Offe 1981, Alemann 1987, Voelzkow/Hilbert/Heinze 1987). Im internationalen Vergleich zeigt sich allerdings, daß dieser Zusammenhang auf Voraussetzungen beruht, die nach Politikfeldern und Ländern variieren. So verfügt etwa die Regierung der USA in der Kernenergiepolitik über eine zumeist größere Expertise als gesellschaftliche Organisationen, einschließlich vieler der in diesem Bereich dominierenden Wirtschaftsunternehmen. Allein die "Nuclear Regulatory Commission" beschäftigt über 3000 Mitarbeiter, darunter viele Ingenieure, die wiederum in der "Nuclear Navy" ausgebildet wurden. Die "National Laboratories", obschon in jüngerer Zeit teils von Privatunternehmen im Auftrag des Department of Energy (DOE) betrieben, bilden ein Wissensreservoire auf das staatliche Ressorts jederzeit vollen Zugriff besitzen [16]. In der Bundesrepublik liegt dagegen die wissenschaftlich-technische Expertise und praktische Ausführung der Atomaufsicht überwiegend in den Händen privatrechtlicher Organisationen (v.a. TüV und Gesellschaft für Reaktorsicherheit). Dies ist keinesfalls eine aus ungleicher Informationsverteilung oder der Komplexität des Aufgabenfeldes folgende Notwendigkeit. Die starke Stellung des TüV und der GRS ist auch nicht Ausdruck einer "Tendenz zur Privatisierung und Desintegration der Verwaltung" im Spätkapitalismus (Hirsch 1973; 248), sondern Ergebnis früher historischer Weichenstellungen in Richtung einer verbandlichen technischen Sicherheitsüberwachung in Deutschland. ähnlich kontingente, strukturfunktionalistisch nicht erfassbare Zusammenhänge gelten ganz allgemein für die Autonomie des Staates. Dort wo aus historischen Gründen gesellschaftliche Organisationen an der Politik beteiligt sind, kann man nicht von vorneherein auf einen Autonomieverlust des Staates schließen. Dies soll - der Einfachheit halber - nicht am Beispiel der Nuklearregulierung illustriert werden. Besser eignet sich hier eine an Max Webers Ausführungen zur Kollegialverwaltung anknüpfende Interpretation der schwedischen Verbändeeinbindung in die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.Das schwedische System korporatistischer Verbändeeinbindung und Kommitteeverwaltung eignet sich besonders, mannigfaltige Formen und Auswirkungen einer vom Staat ausgehenden Organisation der Gesellschaft zu untersuchen. Zur weitreichenden Praxis konsultativer Untersuchungskommissionen und Beiräte auf Regierungsebene (Jann 1981) kommen in Schweden Traditionen der Kollegialverwaltung mit direkter Verbändeeinbindung. Ein bekanntes Beispiel ist die Arbeitsmarktbehörde AMS, die etwa 10 Prozent des Staatshaushaltes im Bereich der Beschäftigungs- und Industriepolitik ausgibt und dabei von einem Direktorium aus Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern geleitet wird.Die Verbindung von legaler Herrschaft und sozialer öffnung der Verwaltung für Interessenten hat schon Max Weber (1972; 158ff, 574ff) geschildert und vor allem in ihrer Funktion als Beratungs- und Abstimmungsinstanz gesehen. Zwar konzentrieren sich seine Ausführungen auf die "Kollegialität der Herrschaft" in einem engeren Sinne, nämlich die bürokratische Gewaltenteilung zwischen mehreren von Fachmeinung und Interessenlage geleiteten Fachbehörden - insofern auf die öffnung der Verwaltung nach innen - sowie auf ständische Kollegien in patrimonialen und feudalen Herrschaftsverbänden. Gleichzeitig finden sich jedoch Hinweise auf die öffnung moderner legaler Verwaltungen nach außen. Interessanterweise sieht Weber hierin die Möglichkeit einer weiteren Macht- und Effizienzsteigerung der Verwaltung:"überlegen ist der Sachkenntnis der Bürokratie nur die Sachkenntnis der privatwirtschaftlichen Interessenen auf dem Gebiet der 'Wirtschaft'. Dies deshalb, weil für sie genaue Tatsachenkenntnis auf ihrem Gebiet direkt wirtschaftliche Existenzfrage ist..." (Weber 1972; 574). Die Entwicklung "speziell, welche die konkrete Sachkenntnis der Interessenen in den Dienst der rationalen Verwaltung fachgebildeter Beamter zu stellen sucht, hat sicherlich eine bedeutende Zukunft und steigert die Macht der Bürokratie noch weiter" (ebenda; 576, Hervorhebungen R.C.)Weber hat die produktive Verbindung von verfahrensmäßiger Regelbindung und Offenheit gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt, wie wir sie vor allem in Schweden antreffen, durchaus gesehen. Sein Typus der legalen Herrschaft umfaßt "das Turnus-, Los- und Wahlbeamtentum, die Parlaments- und Kommitteeverwaltung und alle Arten kollegialer Herrschaft und Verwaltungskörper, ... falls ihre Kompetenz auf gesatzten Regeln beruht und die Ausübung des Herrschaftsrechtes dem Typus legalen Verwaltens entspricht." (Weber 1972; 2). Seine Beobachtung, wonach diese Verwaltungsformen "in schneller Abnahme zugunsten der faktischen und meist auch formal monokratischen Leitung begriffen" sind (Weber 1972; 128), bezieht sich explizit auf Preußen. Man kann insofern die sehr viel spätere, mit ihrer Ausdifferenzierung einhergehende öffnung der modernen Verwaltung nicht gegen die Webersche Bürokratietheorie ins Feld führen.Wenn es zutrifft, daß Verbändeeinbindung die Macht der Verwaltung gegenüber gesellschaftlichen Interessen befestigt und sogar steigert, warum beteiligen sich diese dann überhaupt? Innerhalb des schwedischen Arbeitgeberverbandes (SAF) waren anfangs der 80er Jahre starke Bestrebungen imgange, die Beteiligung von Verbänden an der Verwaltung zurückzudrängen, da sie zur Verfälschung der Interessenvertretungsfunktion der Verbände und zur Aufblähung der Staatsausgaben führe:"Die SAF verlangt mit großem Nachdruck Kürzungen der öffentlichen Ausgaben. (...) Trotzdem haben die SAF-Vertreter in der nationalen Arbeitsmarktbehörde keinerlei Einspruch gegen die Forderung nach Ausweisung von 1350 neuen Stellen erhoben. Was macht das für einen Sinn?" (SAF-tidningen 1980;28)Die SAF kam zu dem Schluß, daß ihre Repräsentation in Verwaltungsbehörden zu "unlösbaren Problemen" und zu "gespaltenen Loyalitäten und zweischneidigen Mandaten" führe. Insbesondere fällt es der SAF schwer ihre Repräsentanten in Verwaltungsgremien zur Verantwortung zu ziehen. Die SAF-Vertreter in den Direktorien der Sozialversicherungsbehörde (Lars-Gunnar Albage) und der Arbeitsmarktbehörde (Stellan Artin) äußerten 1987 auf Befragung, daß sie sich der Arbeit der Verwaltungsbehörden verpflichtet fühlten und sie im übrigen ab und zu an Entscheidungen teilhaben, an denen sie lieber nicht teilhaben würden. "Aber auf der anderen Seite muß dies gegenüber der Möglichkeit abgewogen, werden Entscheidungen in anderen Sachfragen herbeizuführen, in denen schlechtere Ergebnisse zu erwarten gewesen wären" (Lars-Gunnar Albage, zitiert nach Rothstein 1988;251). Beteiligung wird so zur Einbindung und führt nicht selten zu Widersprüchen zwischen dem unmittelbaren Interesse der Mitglieder oder von Mitgliedergruppen und längerfristigen Organisationsinteressen, die innerorganisatorische Konflikte auslösen können.Man kann unschwer vermuten, daß das von schwedischen Verbandsrepräsentanten in Verwaltungsbehörden geäußerte Befinden "zwischen den Stühlen zu sitzen" (Rothstein 1988) ein Ziel staatlicher Verbändeeinbindung ist, um sie dadurch den öffentlichen Interessen näher zu bringen. Ganz sicher gehört die von Weber beschriebene unmittelbare Macht- und Effizienzsteigerung durch Interesseneinbindung zum strategischen Repertoire von Ministerialverwaltungen.

8. Fazit

Die staatliche Organisation der Gesellschaft ist - so muß man annehmen - vom Selbstinteresse staatlicher Ressorts geleitet. Nicht immer schließen sich die Interessen zusammen, um auf staatliche Entscheidungen Einfluß zu nehmen, sondern staatliche Ressorts, im Regelfall Ministerien, organisieren die Interessen oder unterstützt deren Organisation, um ihnen ihre Politik besser zu vermitteln (vgl. Ullmann 1988;32), Aufgaben an diese Organisationen abzugeben (Delegation), oder eine ausgewogene Interessenrepräsentation zu erreichen, d.h. gesellschaftliche Gegeninteressen zu schwächen. Man kann diese Strategien in Weberschen Begriffen als Strategien propagandistischer öffnung oder protektionistischer Schließung fassen. Staatlichen Eingriffen in gesellschaftliche Organisation liegen Strategien der interessenpolitischen öffnung und Schließung von Akteursnetzwerken zugrunde.Die erwähnten Fälle enthalten Beispiele sozialer öffnung: die KtK-Kommission brachte vordem kaum vernetzte korporative Akteure aus dem gesamten Kommunikationssektor zusammen. ähnliches gilt für die BMFT-Arbeitskreise "Informationstechnik 2000", das neugegegründete "Forum für Zukunftsenergien" sowie die amerikanischen Nuklearinteressen in den fünfziger und sechziger Jahren. Strategien der Schließung finden sich in der amerikanischen Nuklearpolitik nach 1979. Durch die Ausdifferenzierung der vorherigen, vergleichsweise offenen clan-Struktur, wurde der Sektor gegenüber der Kernkraftkritik oppositioneller Verbände und Bewegungen widerstandsfähiger gemacht. Am Beispiel der schwedischen Verbändeeinbindung läßt sich zeigen, daß öffnung der Verwaltung gegenüber der Gesellschaft gleichwohl eine interessenpolitische Schließung bedeuten kann, da Regierung und Verwaltung autonom bestimmen, welche Interessen repräsentiert sein sollen und welche ausgeschlossen werden (vgl. Czada 1990). Die schweizer Aids-Politik ist dagegen ein typisches Beispiel der Delegation von Staatsaufgaben und damit der Entlastung des Staates. Hier geht es vornehmlich um eine Instrumentalisierung verbandlicher Steuerungsmittel, während in den zuerst genannten Fällen staatliche Politik direkt auf eine Veränderung oder Stabilisierung gesellschaftlicher Kräfte einwirkt.Bei genauer Hinsicht zeigt sich, daß jeweils spezifische instititutionelle Rahmenbedingungen staatliches und verbandliches Handeln bestimmten. Einmal sind es fragmentierte Regierungsstrukturen, deren Handlungsschranken durch Verbändeeinbindung und Aufgabendelegation überwunden werden (schweizer Aids-Politik), ein andermal versucht eine zentrale Regulierungsagentur durch die Förderung eines Verbandes die gesellschaftliche Unterstützung ihrer eigenen Ziele zu gewinnen (frühere US-Atomic Energy Commission). In weiteren Fällen erweist sich der Einfluß des Staates als ein Versuch des Interessenausgleichs zwischen widerstreitenden gesellschaftlichen Kräften (schwedische Arbeitsmarktpolitik). Voraussetzung solcher Strategien sind jeweils bestimmte Regierungsstrukturen wie Föderalismus, das Vorhandensein inneradministrativen Wettbewerbs, Traditionen der Kollegialverwaltung etc.In historischer Perspektive zeigt Lehmbruch (1990), wie nationale Staatstraditionen die Konfiguration von Politiknetzwerken zwischen Staat und organisierten Gruppen der Gesellschaft prägen. Prozesse der Institutionalisierung solcher Netzwerke können dauerhafte internationale Unterschiede von Staat-Gesellschaftsbeziehungen erklären. Funktionalistische Ansätze müssten demgegenüber eine säkulare Konvergenzentwicklung dieses Beziehungsgeflechtes prognostizieren; also etwa allgemeine Trends zum Pluralismus, Korporatismus, Syndikalismus, Autopoiese, sozietale oder post-moderne Steuerungsformen etc. Diese verallgemeinernden Sichtweisen sind nun selbst vom nationalen Standpunkt ihrer überbringer abhängig: In den USA gilt die Stärkung der "state-capacities" als Rezept gegen Probleme - etwa in der Industrie- oder Sozialpolitik -, gegen die in der Bundesrepublik sozietale Selbststeuerung empfohlen wird. Während hierzulande die Möglichkeit von "Regieren" oft mehr oder weniger angezweifelt wird, entwickeln sich dort in Teilen der Wirtschaftswissenschaft und der Politikwissenschaft Theorien von "governance" zu einflußreichen Konzepten der Politikberatung [17].Der Begriff "Governance" ist neuerdings durch die Transaktionskosten-ökonomik (TKö) geprägt. Sie behandelt Effizienzvorteile durch die nicht-marktliche Organisation von Transaktionen, etwa Verträge, Produktionsorganisation, Verbände, Clans, "private-hierarchies" (Firmen) und "state-hierarchies", etc. (Wiliamson 1985, Schneiberg/Hollingsworth 1990, North 1990). Sie versteht "governance" als "visible hand" der Organisation im Gegensatz zur "invisible hand" des Marktes [18]. Viele überlegungen der Transaktionskostenökonomik sind nicht grundsätzlich neu. Einige finden sich implizit in sozialwissenschaftliche Konzepten wie der Ggenüberstellung von Markt und Staat, von "Systemintegration" vs. "Sozialintegration", im Begriff des "Organisierten Kapitalismus", der Weberschen Bürokratietheorie, etc. Eine Folgerung aus dem Transaktionskostenansatzes ist: Der "regierte Kapitalismus" hat viele Regierungen, die ganz unterschiedlichen Aufgabenspektren und äußeren Funktionsbedingungen zuzuordnen sind. Ein entscheidender Fortschritt ist, daß Verbandsorganisation (association) nicht als einzige Form gesellschaftlicher Interessenzusammenfassung angesehen wird, sondern daß Clans (von Ouchi auf Grundlage des Japanischen Falles in die TKö eingeführt) ebenso wie Firmen (private hierarchies) dazugehören. In unserem Zusammenhang heißt dies, daß letztere ebenfalls Ziel staatlicher Intervention und Organisationsbemühungen sind. Als Beispiel ließen sich die von Bund und Ländern über Jahrezehnte hinweg betriebene Reorganisation der Luft- und Raumfahrtindustrie oder die Staat-Gesellschaftsbeziehungen im Telekommunikationssektor anführen.Vor der Aufgabe des "Regierens" steht letzlich jede protektionistische oder propagandistische Interessenverbindung. Im Unterschied zur reinen Verwaltungs- und Dienstleistungsorganisation bietet sie ihren Mitgliedern Schutz und Werbung nach außen. Dabei ist im Verkehr zwischen solchen politischen Organisationen, bzw. den sie repäsentierenden Eliten, realistischerweise von Präferenzüberschneidungen und dem Bedürfnis nach gegenseitigen Bestandsgarantien auszugehen [19]. Daher interveniert meist nicht der politische Staat gegen die an Selbstorganisation interessierten Verbände in die Gesellschaft. Das auf die Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse ausgerichtete politische Gemeinschaftshandeln wird vielmehr getragen von Netzwerken aus staatlichen und gesellschaftlichen korporativen Akteuren. Ihr Handeln folgt weit häufiger überlappenden als gegensätzlichen Interessen. Die hier vertretene These ruht insofern nicht auf einer Idealvorstellung staatlicher Souveränität, sondern behauptet lediglich, daß die Akteursnetzwerke, denen selbst Regierungsqualität zukommt, oftmals dem Kalkül staatlicher Akteure anstelle gesellschaftlicher Initiative und Forderung entspringen und entsprechen (Lehmbruch 1990).Wie dies im Einzelnen und im internationalen Vergleich unterschiedlich funktioniert, kann nur historisch nachgezeichnet werden (Lehmbruch 1990). Daß es der staatlichen Organisation - bzw. eines mit besonderen Machtmitteln ausgestatteten Netzwerkes - überhaupt bedarf, wird dagegen aus Erkenntnissen der ökonomischen Theorie der Politik, insbesondere ökonomischer Verbändetheorien, deutlich (Olson 1965). Gerade eigeninteressierte Akteure sind aus opportunistischen Gründen an der Mitgliedschaft in Verbänden - und noch mehr ihrer Gründung - gehindert. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die politische Durchsetzung gemeinsamer Interessen von ökonomischen Konkurrenten gegenüber dem Staat geht. Der Kollektivgutcharakter von verbandlicher "Einflußpolitik" verleitet zum Schwarzfahrerverhalten, und es bedarf deshalb ganz besonderer Anstrengungen und Rahmenbedingungen (vgl. Olson 1965) um überhaupt zur Organisation gesellschaftlicher Interessen zu gelangen. Der Staat ist legitimiert und aufgrund seiner von ökonomischer Konkurrenz losgelösten Handlungsbedingungen in der Lage, gesellschaftliche Interessen auch dann zu ordnen, wenn opportunistische Motive einer freiwilligen Organisation im Wege stehen. Die Theorie erlaubt indessen keine allgemeingültigen Aussagen über Art und Ausmaß staatlichen Engagements. Staatliche Verwaltungen können Aufgaben selbst erledigen oder ihre gesellschaftliche Bewältigung durch die Organisation Betroffener fördern. Wo, auf einer Skala der "Politisierungsmuster zwischen Staatsintervention und gesellschaftlicher Selbstverwaltung" (Czada/Dittrich 1980), eine Aufgabe erledigt wird, ist durch historische Weichenstellungen bedingt. Anders als es gängige Theorien der Politik (Pluralismustheorie, politische ökonomie, ökonomisch Theorie der Politik, Systemtheorie) nahelegen, fungieren dabei oft staatliche Akteure als Weichensteller.
 

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Fußnoten
 

[*] Ein Großteil der hier vorgestellten überlegungen entstammt dem DFG-Projekt "Administrative Interessenvermittlung" (Leitung Prof. G. Lehmbruch), das bis Ende 1990 innerhalb des Konstanzer Sonderforschungsbereiches "Verwaltung im Wandel" angesiedelt war und 1992 abgeschlossen werden soll. Für eine kritische Durchsicht des Manuskriptes danke ich Wolfgang Luthardt und Angelo Caragiuli.
[1] Die Dichotomie Staat-Gesellschaft impliziert jedoch keineswegs diese Annahme. Sowohl die Luhmannsche Systemtheorie als auch Theorien strategischer Interaktion vermögen dies zu verdeutlichen: Der im Begriff der "Autopoiesis" enthaltene Zusammenhang von Selbstreproduktion und Ressourcenaustausch trägt ebenso wie spieltheoretische Konzepte zu einem von Wechselseitigkeit geprägten Verständnis von Autonomie und Abhängigkeit bei.
[2] Alternative wäre die Luhmannsche Systemtheorie, die Ressourcenabhängigkeit nach außen (Offenheit) und innere Reproduktionslogik (Geschlossenheit) als getrennte Eigenschaften eines Systems begreift und daher zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Die Interpenetration selbstreferentieller Teilsysteme kann als Verhältnis gegenseitiger Unterstützung anstelle hierarchischer über-, Unterordnung, bzw. parasitärer Ausbeutung verstanden werden.
[3] Joachim Hirsch (1973) hat frühzeitig auf die staatliche Organisation der Gesellschaft im Bereich der Forschungspolitik hingewiesen. Er erklärt diese jedoch nicht poliikfeldsspezifisch, aus prekären, von Unsicherheit gekennzeichneten Akteurskonstellationen, sondern aus einer geschlossenen Situation staatsmonopolitistischer Vermachtung, in der der kapitalistische Staat ein objektiv feststellbares Profitinteresse der Großindustrie auf dem Verwaltungsweg durchsetzt.
[4] Die Schilderung neuerer Entwicklungen beruht auf Interviews im Rahmen des Konstanzer DFG-Projektes "Administrative Interessenvermittlung". Besonders ausfschlußreich waren die Gespräche mit Prof. Miro Todorovich (Scientists and Engineers for Secure Energy), Thomas Price (Nuclear Management and Ressource Council und Tennessy Valley Authority), Mike Challagan und Jack Heltemes (Nuclear Regulatory Commission), Gary Falter (Institute for Nuclear Power Operations) und John Chubb (Brookings Institution).
[5] Daß das 1959 gegründete Deutsche Atomforum auch ein informationspolitisches Organ des Atomministeriums war, wird aus einer äußerung des Staatssekretärs Cartellieri vor der Deutschen Atomkommisson am 4.12.1963 deutlich. Danach sollte das DAtF, nachdem das Ministerium Widerständen der Gemeinde Menzenschwand gegen Uranschürfarbeiten juristisch nicht beikommen könne, erst einmal den Boden in der öffentlichkeit bereiten. Radkau (1983;148) schreibt dazu weiter: "Solche Aufgaben wurden später Hauptinhalt der Atompolitik, und daher hat das Atomforum die Atomkommission bis heute überlebt".
[6] Wie bedeutsam und einflußreich diese Gruppe für die Entwicklung der zivilen Kernkraftnutzung gewesen ist beschreibt anschaulich der Navy-Historiker Francis Duncan in seinem jüngst erschienen Buch "Rickover and the Nuclear Navy. The Discipline of Technology", Annapolis 1990: United State Naval Institute.
[7] Die erste, zu Lebzeiten erschienene Biographie von Norman Polmar and Thomas B. Allen trägt den Titel: "Rickover, Controversy and Genious" (New York 1982: Simon and Schuster) und betont die persönlichen gruppenbildenden Fähigkeiten des Admirals, der seit den sechziger Jahren "graue Eminenz" der amerikanischen Nuklearpolitik gewesen ist. Rickover war Träger höchster wissenschaftlicher und militärischer Auszeichnungen (unter anderem des Fermi-Awards für überragende Leistungen auf dem Gebiet der Nuklearforschung, den er unter anderen mit Fritz Straßmann und Lise Meitner teilt).
[8] INPO hat demnach ähnlichkeiten mit den im Zuge nationalsozialistischer Wirtschaftsreformen in Deutschland eingeführten Betriebserhebungen, die bis zum Kriegsende Pflichtaufgabe der Fachverbände waren, später wegen ihres offensichtlichen Nutzens für die Unternehmen aber beibehalten wurden.
[9] Lehmbruch (1990) zeigt gerade am Beispiel der Schweiz die Institutionalisierung von Netzwerken aus staatlichen Verwaltungen und Organisationen der Gesellschaft, die eigentümlich nationale Politikstile begründen und historisch verfestigen.
[10] So finanzierte die schweizer Regierung dem Unternehmerverband eine Personalstelle zur Vorbereitung von Handelsvertragsverhandlungen oder zog es vor, ein Abkommen zwischen westschweizerischem Mieterbund und dem Grund- und Hauseigentümerverband als äquivalent für eine Mieterschutzgesetzgebung anzuerkennen, anstatt eigene Leistungen zu erbringen. Der schweizer Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme durch Privatabmachungen statt durch staatliche Intervention, wobei auf der Grundlage eines 1972 verkündeten Verfassungsartikels die staatliche Föderung "privater Politik", etwa durch das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zusätzlich erleichtert wird.
[11] Die KtK-Kommission hat auch in die spätere "Regierungskommission Fernmeldewesen" hineingewirkt. In beiden hatte Prof. G. Witte den Vorsitz.
[12] Eine den "National Laboratories" analoge Rolle spielen etwa im Arbeitskreis Mikroelektronik die Fraunhofer-Institute. Sie stellen die organisatorische Infrastruktur sowie die personelle Geschäftsführung und sind auch anteilsmäßig mehrfach vertreten, während die beteiligte Industrie vergleichsweise heterogen zusammengsetzt bleibt. Als Sprecher fungiert typischerweise der Vertreter des meinungsführenden Unternehmens (hier: Dr. Franz, Vorstand der Siemens AG).
[13] Herbert Gassert auf der Wintertagung 1990 des Deutschen Atomforums in Bonn.
[14] Diese Einschätzung basiert auf Interviews mit Vertretern der Kernenergiewirtschaft, insbesondere des Deutschen Atomforums, die in den Jahren 1990 und 1991 durchgeführt wurden.
[15] Auf die Parallelen zwischen Pluralismustheorie und Systemtheorie ist früh - etwa von David Easton - hingewiesen worden. Tatsächlich ist gesellschaftliche Selbstorganisation für die Pluralismustheorie nur Folge einer veränderten Wahrnehmung der für ein spezifisches Interesse unmittelbar relevanten Umwelt, eine Reaktion auf Betroffenheit (Truman 1952). Sehr deutlich kommt diese Verwandschaft auch in Willke (1990; bes. S. 236f.) zum Vorschein.
[16] ähnliches gilt im übrigen für die französische Nuklearregulierung aus "Commissariat á l'Energie Atomique" und "Electricité de France". Hier sind es die den "Grand Corps de l´Etat" angehörenden Spitzenbeamten, die "nucleocrates", welche den Kernenergiesektor kontrollieren. Im Unterschied zu den USA mit ihrer hoch formalisierten und bürokratisierten Regulierungsstruktur sind sie jedoch eher informell vernetzt - man wohnt sogar meist in enger Nachbarschaft (Simmonot 1978) und bleibt von Parlament und öffentlichkeit weitgehend abgeschottet. Wenn dagegen mehr als drei der fünf "Commissioners" der NRC zusammentreffen, muß dieses Treffen protokolliert werden.
[17] Governance bezieht sich hier nicht nur auf den Staat, sondern ebenso auf Verbände, Unternehmen und Clans (vgl. Campbell, Lindberg, Hollingsworth 1988). Der Einfluß der Transaktionskostenökonomik ist insbesondere in der Wettbewerbspolitik festzustellen. Die mikroökonomisch begründete Einsicht, das die vetrauensvolle Zusammenarbeit von Unternehmen effizienzsteigerend wirken und die amerikanische Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten verbessern kann, hat bereits in den von einer monetaristischen makroökonomischen US-Politik beherrschten 80er Jahren zu einer Aufweichung des strikten "Anti-Trust" Kurses geführt (Rittaler 1989).
[18] "Williamson's work rejects technological, legal, and class analytic approaches and constructs an alternative theory of economic governance via a logic that dimensionalizes transactions, that identifies the mechanisms and institutional arrangements which "harmonize the interfaces" between economic actors, and that uses a comparative assessment of the cost and performance attributes of these arrangements to specify the conditions under which various governance structures form and develop ... What has emerged from Williamson's logic is a refined and sophisticated theory of why, where, and when the "visible hand" of informal or formal-bureaucratic modes of governance supplement and/or replace the "invisible hand" of autonomous contracting and the market". (Schneiberg/Hollingsworth 1990;200)
[19] Auf diesen von vielen Konflikttheorien vernachlässigten Tatbestand hat Scharpf (1981) nachdrücklich hingewiesen.