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Vom Plan zum Markt

Die radikale Massenprivatisierung der Treuhandanstalt.

Roland Czada

Mit der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 stellte sich das Problem der der Angleichung zweier grundverschiedener Wirtschaftssysteme. Die Transformation der ostdeutschen Planökonomie in eine Marktwirtschaft begann allerdings, zaghaft und mit vielen Unsicherheiten belastet, schon am Ende des Jahres 1989. Im Frühjahr 1990, vier Monate nach dem Fall der Berliner Mauer, übernahm die Berliner Treuhandanstalt (THA) nahezu die gesamte Wirtschaft des damals noch sozialistischen ostdeutschen Staates: 45.000 Betriebsstätten in 8.000 Firmen mit zusammen vier Millionen Beschäftigten. Hinzu kamen 20.000 Gaststätten und Ladengeschäfte, 1.839 Apotheken, 390 Hotels, zahlreiche Kinos, die gesamte Energie- und Wasserversorgung sowie die Betriebe des öffentlichen Nahverkehrs [Fußnote 2]. Die Treuhandanstalt sollte zunächst die riesigen "Kombinate" und volkseigenen Betriebe (VEBs) in Kapitalgesellschaften umwandeln. Die letzte sozialistischen DDR-Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow war im April 1990 noch davon ausgegangen, dies sei ein überwiegend buchhalterischer Vorgang, den 150 Juristen und Finanzexperten aus dem ehemaligen DDR-Finanzministerium mit Hilfe westdeutscher Berater bewältigen könnten. Indessen beschäftigte die Treuhandanstalt zwei Jahre später bereits 4000 Angestellte in der Berliner Zentrale und in 15 Bezirksniederlassungen. Ihre Aufgabe blieb nicht auf die juristische Begründung und Übertragung von Eigentumsrechten begrenzt. Die THA hatte sich rasch zu einer Zentralinstitution für den Aufbau-Ost, einer "für alle sechs ostdeutschen Landesregierungen sehr mächtigen Nebenregierung" [Fußnote 3] entwickelt. Seit dem Beitritt der "Deutschen Demokratischen Republik" zur Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1990 bestand ihre Aufgabe darin, die soziale Marktwirtschaft, wie sie sich in der westdeutschen Bundesrepublik über 40 Jahre herausgebildet hat, in kürzester Zeit auf die fünf, auf dem Territorium der DDR neu geschaffenen Bundesländer (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) zu übertragen und dort funktionsfähig zu machen. Als wichtigste Erfolgsvoraussetzung für diesen Transfers galt es, die Wirtschaft des ehemals sozialistischen Landes vollständig zu privatisieren. Diese Aufgabe war beispiellos. Sie überstieg den Umfang der größten Privatisierungsprogramme der achtziger Jahre, etwa der britischen Thatcher-Regierung, bei weitem.


Fußnoten

2. Kemmler, Marc: Die Entstehung der Treuhandanstalt. Von der Wahrung zur privatisierung des DDR-Volkseigentums, Frankfurt/New York: Campus 1994, 175.

3. Schmidt, Helmut: Handeln für Deutschland. Wege aus der Krise, Berlin: rowohlt 1993, 110, 32.

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