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2. Entstehung der Treuhandanstalt

Die Idee zur Gründung einer "Treuhandgesellschaft zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am 'Volkseigentum' der DDR" [Fußnote 7] kam aus eine Forschungskollegium "Selbstorganisation", das der oppositionellen Bürgerbewegung nahestand. Sie wurde am 12. Februar 1990 vom "Runden Tisch" aufgegriffen, der vor den ersten freien Wahlen die Bürgerbewegung und etablierte Massenorganisationen der DDR in einer Art Ersatz-Parlament zusammenbrachte.[Fußnote 8] Die am 1. März 1990 durch Ministerratsbeschluß gegründete Treuhandanstalt ist insofern ein institutionelles Erbe der in Auflösung begriffenen DDR, das von der Bürgerbewegung und den sozialistischen Parteien und Massenorganisationen gemeinsam gegründet wurde. Aber auch die westdeutsche Regierung hatte auf ihre Gründung hingewirkt, nachdem bereits viele westliche Unternehmen als Kaufinteressenten bei DDR-Firmen vorstellig geworden waren und teilweise sogar Berater- und Geschäftsbesorgungsverträge abgeschlossen hatten, ohne daß die rechtlichen Voraussetzungen dafür bestanden hätten [Fußnote 9].

Das erste freigewählte Parlament verabschiedete wenige Monate nach Gründung der Anstalt das Treuhandgesetz. Darin werden der Treuhandanstalt drei zentrale Aufgaben zugewiesen:[Fußnote 10]

Nur die Präambel des Treuhandgesetzes läßt noch das ursprüngliche Vorhaben erkennen, den Bürgern "nach Abzug der Sanierungskosten ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen" einzuräumen. Bemerkenswert ist allerdings, daß die unumgänglich zu erwartende Beschäftigungswirkung der Treuhandanstalt auch in den Augen der Bürgerbewegung und des Runden Tisches nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Genauso wie die Bundesregierung waren sie im Jahr 1990 davon ausgegangen, daß mit der Privatisierung der DDR-Wirtschaft ein Geschäft zu machen sei. Nach dem Willen der Bundesregierung sollten die Kosten der Einigung aus der Substanz der DDR-Wirtschaft bestritten werden und darüber hinaus sogar zur Rückführung der öffentlichen Verschuldung der Bundesrepublik beitragen.[Fußnote 11] Die letzte DDR-Regierung hatte den Wert der DDR-Wirtschaft auf der Basis ihrer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung noch auf 1000 Milliarden Mark geschätzt. Dies kam unter anderem daher, daß ihre Vorgängerinnen in zwei Großaktionen längst abgeschriebene Maschinen, die zum Teil aus Kriegs- und Vorkriegszeiten stammten, neu bewerten ließen, um damit die Bilanzen der Kombinate zu frisieren.[Fußnote 12] Auf veralteten Anlagen, die nach westlichen Maßstäben wertlos waren, wurde ein nominell überhöhtes, nach Qualität und Ressourceneinsatz aber minderwertiges Sozialprodukt hergestellt, das die DDR-Wirtschaft auf Platz 17 der Weltrangliste der reichsten Industrieländer brachte und nun der westdeutschen Bundesregierung als eine willkommene Morgengabe zur Wiedervereinigung erscheinen mußte.

Der auf Reiner Gohlke folgende und am 1 April 1991 von unbekannten Tätern ermordete zweite Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, hatte im Herbst 1990 den Gesamtwert des Treuhandvermögens auf 600 Milliarden Mark geschätzt. Sehr schnell ist aber klar geworden, daß die meisten Industrieanlagen unter den neuen Konkurrenzbedingungen wertlos waren. Als im Jahr 1992 die DM-Eröffnungsbilanz vorlag, wußte man genau, daß zwischen dem notwendigen Veräußerungs- und Sanierungsaufwand und dem Wert der Treuhandunternehmen eine Lücke von nahezu 250 Milliarden klaffte, die nur durch Kredite gefüllt werden konnte. Damit sind unter anderem die Löhne von anfänglich 4 Millionen Beschäftigten in Treuhandunternehmen bezahlt worden, die diese nicht aus eigener Kraft aufbringen konnten - ein gigantischer Fall von Lohnsubvention, wie sie zum gängigen Repertoire der aktiven Arbeitsmarktpolitik gehört und andernorts, z.B. in Schweden, in kleinerem Ausmaß praktiziert wurde. Im Unterschied zu dortigen Erfahrungen, mußten in Treuhandbetrieben teils über Jahre hinweg Löhne aus öffentlichen Mitteln aufgebracht werden. Tatsächlich war es eine, wenn auch ungeliebte, Aufgabe der Treuhandanstalt unrentable Betriebe zur Bewertung, Veräußerung, Sanierung oder Stillegung zunächst einmal vorzuhalten. Hinzu kam der insbesondere von den Regierungen der neuen Länder massiv geäußerte Wunsch, Massenentlassungen soweit wie möglich zu vermeiden oder durch Auffangmaßnahmen sozialverträglich zu machen. Die anfänglichen Zukunftshoffnungen erklären, warum die arbeitsmarktspolitische Bedeutung und Rolle der Treuhandanstalt im Bewußtsein der Öffentlichkeit zunächst verborgen blieb und Beschäftigungspolitik ab Mitte 1992 als ein Teil der in der Treuhandanstalt institutionalisierten Aufgabe des ökonomischen Strukturwandels angesehen wurde. Treuhandunternehmen und privatisierte Ex-Treuhandunternehmen haben zwischen Juli 1990 und Mai 1994 insgesamt 2.952.000 Beschäftigte freigesetzt (siehe Tabelle 2). Dies entspricht einer Reduktion von 72 Prozent der Gesamtbeschäftigung der früheren DDR-Wirtschaft.


Fußnoten

7. Vorlage 12/29 für den Runden Tisch, 12. Sitzung vom 12. Februar 1990; vgl. Kemmler (n 1), 371.

8. In der Zeit von 7. Dezember 1989 bis zur Bildung der ersten freigewählten Regierung im nach den Volkskammerwahlen im März 1990.

9. Christa: Treuhandreport, Berlin: Aufbau-Verlag 1992, 29f.

10. vgl. Treuhandgesetz $ 8; BGbl. I 33 S. 300; geändert am 22. März 1991: BGbl. I S. 766.

11. Interview mit Dr. Paul Hadrys, THA, am 6. April 1993.

12. Zu diesem Zweck wurden auch Studenten in die Betriebe geschickt, um bei der Erstellung von Maschinen- und Werkzeuglisten mitzuhelfen; Interview Dr. Paul Hadrys, THA, am 6. April 1993.

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