Vorherige Seite Beginn des Dokuments Nächste Seite

1. Aufgabe und Tätigkeit der Treuhandanstalt

Von dem durch Spaltungsmaßnahmen auf 12.000 angewachsen Firmenbestand der Treuhandanstalt waren zum Ende des operativen Geschäftes im Dezember 1994 nur noch 65 Unternehmen im Angebot. Alle anderen waren "verkauft", an Alteigentümer zurückgegeben, an Kommunen, Bund und Länder als Verwaltungs- oder öffentliches Finanzvermögen übertragen worden oder befanden sich in Auflösung [Fußnote 4]. Ein großes Grundvermögen, von einsamen Waldseen bis zu städtischen "Filetlagen" reichend, ist längerfristig, soweit es nicht den öffentlichen Gebietskörperschaften zufällt, ebenfalls zur Übereignung an Private vorgesehen.

Als Anstalt des öffentlichen Rechts war Die Treuhandanstalt eine verselbständigte Verwaltungseinheit, ähnlich der nach dem zweiten Weltkrieg zur Verwaltung der Marshallplanmittel (European Recovery Program) eingerichteten Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). In Verhandlungen mit Investoren und bei ihren Privatisierungsentscheidungen verfügte sie über weitgehende Befugnisse und wirtschaftspolitische Steuerungsmöglichkeiten. Dadurch wurde sie zum Adressaten gegensätzlicher Forderungen. Investoren und Gewerkschaften, Politische Parteien, Parlamente und Regierungen, Wirtschaftsverbände, einzelne Unternehmen, Kommunen, Alteigentümer, das Bundeskartellamt, der Rechnungshof und die Europäische Kommission versuchen Einfluß auf die Gesamtorganisation oder einzelne Entscheidungen zu gewinnen sowie Verfügungs- und Kontrollrechte auszuüben.

Die Treuhandanstalt operierte von Anfang an unter großer Unsicherheit. Diese resultierte aus der Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Aufgabe und wurde durch rasch wechselnde Problemlagen noch verschärft. Vor allem darin sah Birgit Breuel, die langjährige Präsidentin, eine Ursache "grenzenloser Überforderung".[Fußnote 5] Eine anfängliche Hochlohnstrageie der Tarifparteien, der Verlust von traditionellen Ostmärkten und die globale Konjunkturkrise mit all ihren Folgen für den Absatz notleidender Treuhandunternehmen, erforderten ständige Strategieanpassungen. Aus organisationstheoretischer Sicht lebte die Treuhandanstalt in der schwierigsten aller Welten: Ihr Umfeld war nicht statisch sondern turbulent, nicht einfach sondern komplex, nicht berechenbar sondern unsicher. Damit waren bürokratische Formprinzipien von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Fast ebenso schlecht stand es um die Erfolgsaussichten einer konsistenten, proaktiven Strategiebildung. Was blieb war eine die eigenen Ziele bestmöglichst wahrende reaktive Umweltanpassung.

Da die Bundesregierung im Wahljahr 1990 Hoffnungen auf einen raschen Erfolg der ökonomischen Systemtransformation geweckt hatte, bestand die Gefahr, daß, wenn das fast Unmögliche nicht gelingt, sie selbst und ihre Institutionen dafür verantwortlich gemacht würden. Der Treuhandanstalt ist auch in dieser Hinsicht eine wichtige Entlastungsfunktion zugewachsen: Enttäuschung und Wut auf sich zu lenken, die andernfalls Regierungen in Bund und Ländern getroffen hätten.[Fußnote 6]

Unsicherheit resultierte auch aus dem Informationsgefälle zwischen Treuhandanstalt und Treuhandbetrieben. Die Betriebe sahen sich willkürlichen Entscheidungen in der Zentrale und den Niederlassungen ausgesetzt. Diese wiederum wußten nicht genau was in ihren Betrieben vorging, die von alten Kadern - oft unter dem Einfluß westlicher Kaufinteressenten - geleitet wurden. Der Verkehrswert dieser Unternehmen mußte von westdeutschen Beratern und Wirtschaftsprüfern geschätzt werden. Ihr Anreiz, gemeinsam mit Geschäftsführern und Investoren die Treuhandanstalt hinters Licht zu führen, war sehr hoch. Selbst Unternehmen, die zu angemessenem Preis erworben worden waren, konnten anschließend durch Finanztransaktionen und Maschinenverkäufe ausgehölt werden. Die Treuhandanstalt selbst geht von 1.000 Fällen dubioser Verträge und betrügerischer Bereicherung aus - eine verhältnismäßig kleiner Anteil bei einer Gesamtzahl von 50.000 Verträgen, die sie innerhalb von drei Jahren geschlossen hat, und die nicht nur Kaufpreise (Gesamterlös: 43 Milliarden DM), sondern auch Arbeitsplatzzusagen (1,5 Millionen), Investitionszusagen (180 Millionen DM), Einzelheiten der Vertragserfüllung, die Regelung ökologischer Altlasten und die Übernahme von Altschulden der DDR-Betriebe beinhalten. Bei Gründung der Treuhandanstalt war man noch davon ausgegangen, die Umwandlung der DDR-Kombinate in privatrechtliche Unternehmen sei ein rein buchhalterischer Vorgang, der von 150 Juristen und Finanzexperten aus dem ehemaligen DDR-Finanzministerium nebst westdeutschen Beratern bewältigt werden könnte.


Fußnoten

4. THA-Informationen v. 21. Dez. 1994, 4.; zur Vermögensübertragung an öffentliche Gebietskörperschaften, insbesondere Gemeinden siehe: König, Klaus/ Schuppert, Gunnar Folke (Hrsg.), Vermögenszuordnung. Aufgabentransformation in den neuen Bundesländern, Baden-Baden: Nomos.

5. zit. nach Schmidt, H. (n 2), 108.

6. Dies ist die von vielen Autoren hoch veranschlagte "Blitzableiterfunktion" des verselbständigten Verwaltungsträgers Treuhandanstalt; Schmidt, Reiner: Aufgaben und Struktur der Treuhandanstalt im Wandel der Wirtschaftslage, in: Hommelhoff, Peter (Hrsg.), Treuhandunternehmen im Umbruch. Recht und Rechtswirklichkeit beim Übergang in die Marktwirtschaft. Köln 1991, S. 17-38 (17, 19). Spoerr, Wolfgang: Treuhandanstalt und Treuhandunternehmen zwischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Gesellschaftsrecht, Köln 1993, 125. Seibel, Wolfgang: Die organisatorische Entwicklung der Treuhandanstalt, in: Fischer, Wolfram/Hax, Herbert/Schneider, Hans Karl (Hrsg.): Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993, 111-147 (132).

Vorherige Seite Beginn des Dokuments Nächste Seite