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4. Binnenorganisation der Treuhandanstalt

Die Organisation der Treuhandanstalt war in ihrem ersten Jahr ständig im Fluß. Das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 hatte die Zusammenfassung von Treuhandunternehmen in Aktiengesellschaften innerhalb von zwei Monaten vorgesehen. Dadurch sollten die industriellen Beteiligungsverhältnisse neu geordnet und zugleich eine Dezentralisierung der Aufgabenerfüllung erreicht werden. Vermutlich wäre dies auf eine organisatorische Zusammenfassung der Betriebe nach westlichem Vorbild hinausgelaufen. Erste Gespräche mit potentiellen Aufsichtsratsvorsitzenden ließen indes schnell erkennen, daß sich hier eigenständige Mammutkonzerne herausbilden konnten, bei denen nicht sicher schien, ob sie das Privatisierungsziel mit aller Konsequenz vertreten würden. Das deutsche Aktiengesetz hätte im Verein mit dem Mitbestimmungsgesetz den Vorständen und Aufsichtsräten dieser Gesellschaften eine Macht verliehen, gegen die sich die Bundesregierung nur schwer hätte durchsetzen können, während sie zugleich die volle Eigentümerhaftung getragen hätte. Die Konzernbetriebe wären über die ganze frühere DDR verstreut gewesen und hätten dadurch das System der sozialistischen Industrieverwaltung aus Branchenministerien und Kombinaten perpetuieren können. Der damalige Verwaltungsrat und sein Vorsitzender, Rohwedder, hatten die Brisanz dieser Konstruktion erkannt, als der Präsident der Anstalt, Reiner Gohlke, noch daranging, die aus den Regierungsbevolmächtigten für die Reprivatisierung bei den Bezirksverwaltungen hervorgegangen Treuhand-Außenstellen aufzulösen, weil sie ja nach der Zuordnung der Betriebe zu Branchen-AGs nicht mehr gebraucht würden.

Im Konflikt zwischen Verwaltungsrat und Präsident, konnte sich Rohwedder durchsetzen. Auf Beschluß des Verwaltungsrates wurde die Abwicklung der Außenstellen gestoppt und zugleich die Unternehmensberatung Roland Berger mit der Entwicklung einer neuen Organisationsstruktur beauftragt. Der Auftrag war so gefasst, daß eine vertikale und territoriale Gliederung herauskommen musste [Fußnote 18]. Kaum hatte Rohwedder Gohlke im Präsidentenamt abgelöst, konnte er am 24. August 1994 die Kernelemente der neuen Organisationsstruktur bekanntgeben. Eine breit angelegte, nach funktionalen und territorialen Strukturprinzipien gegliederte Unterorganisation sollte die vorhandenen Entscheidung-, Koordinations- und Kontrollprobleme lösen.[Fußnote 19] , Den späteren Treuhand-Niederlassungen kam in diesem Konzept ein besonderes Gewicht zu. Die Tatsache, daß Rohwedder, deren großzügige Kompetenzausstattung mit künftigen strukturpolitischen Aufgaben begründet hat, unterstreicht das politische Kalkül, das ihn vor allen anderen in der Treuhandanstalt tätigen Managern auszeichnete. Seine Rede vor der DDR-Volkskammer, in der er den Verzicht auf die rechtlich vorgeschriebenen Treuhand-AGs begründete und stattdessen die Stärkung der Niederlassungen ankündigte, hatte offenkundig die strukturpolitische Komponente der Treuhandpolitik und ihr Verhältnis zu den noch zu bildenden neuen Bundesländern im Auge. Die von ihm angekündigte Mitwirkung der Treuhandorganisation bei der "Konzipierung und Initiierung von lokalen und regionalen Wirtschaftsförderungsprogrammen ... und Industrieansiedlungskonzepten" [Fußnote 20] muß vor dem Hintergrund von Rohwedders Erfahrungen mit dem westdeutschen, insbesondere nordrhein-westfälischen Problemen des industriellen Strukturwandels und der regionalen Wirtschaftsförderung gesehen werden.

Die organisationspolitischen Entscheidungen des neu berufenen Vorstandvorsitzenden Rohwedder prägten nachhaltig die weitere Entwicklung der Treuhandanstalt. Bis im Frühjahr 1991 eine stabile Zuständigkeitsstruktur geschaffen und der Umzug in das Gebäude der DDR-Plankommission und ehemalige Reichsluftfahrtministerium in der Leipziger Straße abgeschlossen war, blieben allerdings die Verfahren der Treuhandanstalt weitgehend ungeregelt. Erst mit Konsolidierung der Organisationsstruktur setze ein Prozess interner Regelbildung ein, die in zuletzt umfangreichen Organisations- und Privatisierungshandbüchern sichtbar wurden.

Unmittelbar nach der Vereinigung und bis zum Frühjahr 1991, in der Zeit als vermehrt westdeutsche Führungskräfte in die damalige Zentrale am (Ost-)Berliner Alexanderplatz einzogen, bot sich ihnen ein Bild , das "sie als Inbegriff des organisatorischen Chaos empfinden mußten" [Fußnote 21]. Die Büros waren überfüllt. Auf den Fluren fanden Verkaufsgespräche statt - mitunter zwischen Investoren und Treuhandmitarbeitern, die sich dort zufällig über den Weg gelaufen waren.[Fußnote 22] Telefon und Faxgeräte konnten tagsüber kaum genutzt werden. Es gab keine verlässlichen Telefonverzeichnisse. Die wenigen Leitungen waren ständig überlastet. Schriftliche Anfragen wurden zumeist nicht beantwortet, weil die Zuständigkeiten unklar waren oder ständig wechselten. Daher mußten Kaufinteressenten, Direktoren von Treuhandbetrieben und westdeutsche Verbandsvertreter persönlich erscheinen, selbst wenn sie nur eine Auskunft einholten wollten. Viele westliche Manager der Treuhandanstalt mieteten sich im Hotel Stadt Berlin gegenüber der Treuhandzentrale ein, in dessen Bars und Gesellschaftsräumen sie das Tagesgeschäft fortführten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte schon im Februar 1990 im Westen Berlins ein Büro errichtet, um zum einen, um auf die Gesetzgebungsarbeit der DDR-Volkskammer einzuwirken, zum anderen, um trotz der schwierigen, von Unübersichtlichkeit und Unsicherheit geprägten Situation, Informationsdienstleistungen für seine Mitglieder anbieten zu können [Fußnote 23]. Informalität und Spontaneität prägten die Aufbauphase der Treuhandanstalt, in der sie als korporativer Akteur nur imaginär vorhanden war. Wolfgang Seibel nennt die Treuhandanstalt des Sommers 1990 eine "virtuelle Organisation, weil weder die gesetzlich vorgesehenen Unternehmensstrukturen - die Treuhand-Aktiengesellschaften - noch eine funktionsfähige Organisationszentrale existierten" [Fußnote 24].

Nach dieser Pionierzeit kam es nicht nur zu einer territorialen Dezentralisierung. In der Treuhandzentrale wurde die Gliederung nach Funktionsbereichen - Privatisierung, Sanierung, Beteiligungen, Niederlassungen, Finanzen, Personal Sozialprogramme und Sondervermögen, Liegenschaften und Refinanzierung - zugunsten einer Matrixorganisation aufgegeben, weil sie zu intransparent war und Koordinationsengpässe verursachte. Mit Einführung der Matrixorganisation wurde die gesamte Treuhandanstalt auf das Privatisierungsziel ausgerichtet, das zuvor nur in einem Funktionsbereich unter vielen ressortiert hatte. Alle Vorstandsmitglieder teilten sich nun eine branchenspezifische Geschäftsverantwortung und eine ausgabenspezifische Funktionalverantwortung. Nur die Personal- und Finanzabteilungen waren vom operativen Privatisierungsgeschäft abgetrennt.

Im Zuge der Organisationsreform wurde der Bereich "Regionale und sektorale Strukturen", der in der Vorstandsabteilung "Sanierung/Abwicklung" ressortiert hatte, aufgelöst. Dies hatte auch terminologische Gründe: Die Organisationsgliederung sollte keinerlei Assoziationen mit Begriffen wie sektorale oder regionale Strukturpolitik aufweisen. Folgerichtig wurde die Bearbeitung sektoraler und regionaler Aspekte der unternehmensbzogenen Treuhandtätigkeit dem von der damaligen Vizepräsidentin Birgit Breuel geleiteten Ressort "Niederlassungen" zugeordnet. Die dort in Funktionalverantwortung liegende Aufgabe der politischen Koordination allgemeiner Länderfragen, wurde später zu einem eigenen Direktorat mit spezifischen Länderabteilungen aufgewertet. Es bildete sich eine Organisationsform, die von "Privatisierern" in den Branchendirektoraten (U-Abteilungen) und "Schnittstellenmanagern" in den Präsidialabteilungen (P-Abteilungen) geprägt war. Die starke Abhängigkeit von einer beziehungsreichen und bewegten Organisationsumwelt hat die interne Aufgliederung der Treuhandanstalt beförderte. Allein zwischen Januar und August 1991 stieg die Zahl der Organisationseinheiten von 149 auf 277 an.


Fußnoten

18. Seibel, Wolfgang: Die organisatorische Entwicklung der Treuhandanstalt, in: Fischer, Wolfram/Hax, Herbert/Schneider, Hans Karl (Hrsg.): Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993, 111-147 (120).

19. Handelsblatt v. 27. August 1990, 5.

20. Seibel, Wolfgang: Die organisatorische Entwicklung der Treuhandanstalt, in: Fischer, Wolfram/Hax, Herbert/Schneider, Hans Karl (Hrsg.): Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993, 111-147 (121)

21. vgl. ebenda.

22. Interview mit Dr. Wolfgang Vehse (THA) am 5.August 1992; Dr. Jürgen Bauer (Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI) am 14. Juli 1992.

23. Bauer, Jürgen: Aktivitäten des BDI in den neuen Bundesländern. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 13/91 v. 22. März 1991, 12-13.

24. Seibel, Wolfgang: Die organisatorische Entwicklung der Treuhandanstalt, in: Fischer, Wolfram/Hax, Herbert/Schneider, Hans Karl (Hrsg.): Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993, 111-147 (114).

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