Vereinigung und Systemtransformation als Governance-Problem

Roland Czada

 

Es gehört zu den Erfahrung postsozialistischer Systemtransformation, daß basale Ordnungselemente wie freie Wahlen, rechtsstaatliche Verhältnisse, Eigentumsgarantie und Wirtschaftsfreiheit nicht hinreichen, ein intaktes und wohlgeordnetes Gemeinwesen zu schaffen oder gar ein "Wirtschaftswunder" in Gang zu setzen. Frühe Vorstellungen, die Übertragung liberal-demokratischer, rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Basisinstitutionen in die Neuen Bundesländern würde dort einen ökonomischen Aufschwung und die rasche Verschmelzung der beiden Teile Deutschlands bewerkstelligen, sind von der Wirklichkeit widerlegt worden. Die entscheidende und schwierigere Aufgabe bestand in der institutionellen Neuordnung sektoraler Funktionsbereiche. Ohne den erfolgreichen Umbau der Staatsverwaltung, der Justiz, der sozialen Sicherungsysteme, der Landwirtschaft, von Infrasstruktursektoren oder jedes einzelnen Wirtschaftszweiges blieben die Basisinstitutionen nahezu wirkungslos.

Als sich anstelle des zunächst erwarteten zweiten deutschen Wirtschaftswunders bereits 1991 eine ökonomische und politische Vereinigungskrise abzeichnete, hatte dies nicht etwa eine kritische Reflexion der ordnungspolitischen Leitlinien der Transformation zur Folge. Vielmehr glaubten maßgebliche Akteure der Vereinigungspolitik, die Integration der beiden Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme könne, wenn der eingeschlagene Weg des Institutionentranfers nicht rasch zum Erfolg führt, durch weitere und vermehrte materielle Transfers geleistet werden. Auch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.

Gutes Recht und Gutes Geld reichten nicht aus, um die Verhältnisse im Osten dem westdeutschen Vorbild anzugleichen. Die Wirksamkeit der Basisinstitutionen und materiellen Ressourcen Westdeutschlands wurde auch von Fachleuten überschätzt im Verhältnis zur Bedeutung sektoraler Governance-Mechanismen.[Fußnote 1] So hatte die 1992 breit geführte Debatte um den Erhalt "industrieller Kerne" Fragen der institutionellen Koordination ökonomischer Austauschprozesse ("Governance of industries", vgl. Campbell/ Hollingsworth/ Lindberg 1991) bewußt ausgeklammert. Obwohl der Staat in Gestalt der Treuhandanstalt alle Verfügungsrechte über die ostdeutsche Industrie innehatte und der Markt im Osten nocht nicht funktionieren konnte, sollte jeder Anschein einer wie immer gearteteten Sektorsteuerung vermieden werden. Dabei sind institutionelle Koordinationsmechanismen keineswegs als arbiträre Markteingriffe aufzufassen, sondern als staatliche und verbandliche Ordnungsleistungen, die Risiken des Marktes begrenzen und damit seine reibungslose Funktion fördern sollen.

Die Zuordnung und die Anwendung rechtlicher und materieller Ressourcen vollzieht sich notwendigerweise im Rahmen von spezifischen regulativen Sektorstrukturen, sektoralen Beziehungsnetzwerken und formellen wie informellen Transaktionsregeln. Es sind in ihrer Gesamtheit komplexe, in der Regel historisch gewachsene institutionelle Lenkungsmechanismen, an denen sich das Handeln der ökonomischen Akteure ausrichtet. Im folgenden möchte ich zeigen: Je mehr sich die Politik solcher Lenkungsmechanismen zu bedienen wußte, desto erfolreicher wurden selbst Problemfälle sektoraler Transformation bewältigt. Zuvor soll das Konzept der institutionellen Koordination (Governance) erläutert und seine Anwendung auf die Transformationsprozesse in Ostdeutschland näher begründet werden.

Das Konzept sektoraler "Governance"

Als "Governance" bezeichnen wir die institutionelle Koordination von politischen und ökonomischen Austauschbeziehungen, die sich in spezifischen Politikfeldern oder um Klassen von Gütern oder Dienstleistungen, also in Wirtschaftssektoren, herausbilden.[Fußnote 2] In der reinen Form handelt es sich um Märkte, Hierarchien, verbandliche Selbstregelung und Clans beziehungsweise Netzwerke (vgl. Streeck/Schmitter 1985; Hollingsworth/Schmitter/Streeck 1994). Die Wirklichkeit kennt indessen zahlreiche Mischformen, hybride Governance Strukturen, in denen zum Beispiel staatliche und private Hierarchien - Behörden und Unternehmen - oder Verbände zusammenwirken. Es sind spezifische Ordnungsformen des Staats- und Wirtschaftslebens, wie sie Friedrich List (1841) im nationalwirtschaftlichen Kontext als "Systeme der politischen Ökonomie" bezeichnet hat. Bereits List hatte damit eine Kritik des Wirtschaftsliberalismus im Auge. Seine gegen Adam Smith gerichtete These war, daß utilitaristische Motive und die "unsichtbare Hand" des Marktes nur dann zum Wohle aller funktionieren können, wenn sie von einem wohlgeordneten nationalen System der politischen Ökonomie gelenkt würden.

Der aus dem neuen Institutionalismus der Politikwissenschaft (Hollingsworth/Streeck 1994) und der Institutionenökonomik (Williamson 1985, Ouchi 1980) geläufige Begiff "Governance" bezeichnet soziale Ordnungsformen, die das Handeln von Akteuren koordinieren oder steuern. Der Nutzen solcher Strukturen für die Akteure liegt vor allem darin, daß sie jene Erwartungssicherheit schaffen, die erst strategische Interaktion ermöglicht. Ich würde im Interesse einer möglichst treffenden Übersetzung von "Governance" den Begriff "Lenkungsstruktur" vorziehen. "To govern" heißt neben "regieren", "herrschen" eben auch "lenken", "leiten" und in genau diesem Sinne institutioneller Lenkungsformen der Wirtschaft durch Märkte, Unternehmen (private Hierarchien) sowie öffentliche und halböffentliche Instanzen (staatliche Hierarchien, Kammern, Verbände) wird er in der neo-institutionalistischen Literatur zunächst gebraucht (vgl. Lehmbruch 1995, 1996: 6-10, 1997). Ob nun institutionelle Steuerungsstruktur, Koordinationsstruktur, Regelstruktur, oder Lenkungsstruktur, die Benennung ist letztlich nur eine Frage der Konvention, solange nicht bereits besetzte Begriffe in mißverständlicher Weise umgedeutet werden.

Während die neoklassische Theorie des Marktes Koordination als spontanes Ergebnis von Wahlhandlungen betrachtet, die von dem Ziel unmittelbarer Nutzenmaximierung geleitet sind, betont der Governance-Ansatz das Interesse der Akteure an der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit von Austauschbeziehungen. Dieses Interesse resultiert aus der mangelnden kognitiven Fähigkeit zur Kalkulation von Handlungsfolgen (bounded rationality, Simon 1961: XXIV) und aus dem Risiko der Täuschung und Übervorteilung durch andere Akteure (Williamson 1990: 51-55). Es ist umso ausgeprägter, je spezifischer, unsicherer und häufiger Transaktionen sind (ebenda: 60-69). Wenn Transaktionspartner nicht austauschbar sind (Spezifizität), ihr künftiges Verhalten kaum kalkulierbar (Unsicherheit) und gleichwohl häufige Transaktionen zur Erstellung eines Gutes oder einer Dienstleistung nötig sind (Häufigkeit), ist der Austausch am Markt mit erheblichen Risiken und Kosten beziehungsweise Reibungsverlusten belastet. Verträge und andere institutionelle Bindungen sind in dieser Situation geeignet, die Kosten von Transaktionen zu senken. Coase (1997) hatte als erster Firmen und gerenell Organisationen als eine Vorkehrung zur Senkung von Transaktionskosten verstanden, die realistischerweise mit jedem Austausch einhergehen.

Während die institutionelle Ökonomie (Williamson 1990, North 1981) Märkte und Hierarchien nach Transaktionskosten und Strukturen von Verfügungsrechten unter Effizienzgesichtspunkten theoretisch analysiert, versteht die empirische Sozialwissenschaft, namentlich die Politikwissenschaft (vgl. Lehmbruch 1996: 118) Governance-Strukturen als soziale Regelsysteme mit beobachtbaren historischen Rationaliäten und Betriebsweisen, die Akteuren bestimmte Verhaltensweisen und Problemlösungen nahelegen (March/Olsen 1994: 249-251). Governance bezeichnet insofern keine Eigenschaft von Steuerungssubjekten und ihren jeweiligen situativen Problemumwelten.. Gemeint sind institutionelle Koordinationsmuster (vgl. Streeck/Schmitter 1985), die zwischen den Akteuren bestehen und daher ihrem direkten Zugriff entzogen sind. Regelsysteme können insofern als ein besonderer Typ von Kollektivgütern betracht werden.

Der politikwissenschaftliche Governance-Ansatz betont - gestützt auf Forschungen zur "Governance of industries" (Campbell/ Hollingsworth/ Lindberg 1991) - die Wichtigkeit institutioneller Regulative bis hin zu subtilen Strukturen der sozialen Einbettung ökonomischer Austauschprozesse. Dazu gehörten etwa die technische Normung (Voelzkow 1996), die industrielle Mitbestimmung (Streeck 1992) oder die "Überkreuzverflechtung" von Aufsichtsratsmandaten (Engenhardt 1995). Sie können in ihrer Gesamteit als ein System der Verfügungsrechte verstanden werden. Im Unterschied zum Wunschbild eindeutiger privater Eigentumsrechte basiert die Wirklichkeit politischer Regulierung auf einem Flickenteppich von Rechten. Die Minimierung von Transaktionskosten geschieht daher maßgeblich auch über institutionelle Vorkehrungen, die nicht nur Verfügungsrechte und damit den Status eines jeden Akteurs definieren, sondern darüber hinaus zur möglichst reibungslosen Konfliktbewältigung im Falle umstrittener Verfügungsrechte beitragen. Eine politikwissenschenschaftliche Institutionentheorie erscheint erst komplett, wenn sie den ständig erforderlichen Ausgleich widerstreitender Ansprüche auf eine möglichst weitgehende Verfügungsmacht beziehungsweise Handlungsautonomie einzelner Akteure zu ihrem Thema macht und dabei die Kompetenz des Staates zur Regulierung beziehungsweise Reorganisation gesellschaftlicher Verfügungsrechte einschließt.

Lehmbruch (1996:118) hat jüngst das Forschungsprogramm des Neo-Institutionalismus (vgl. Hall/Taylor 1996), dem der politikwissenschaftliche Governance-Begriff entstammt, prägnant umrissen und betont, daß in institutionell verfestigte Konfigurationen "auch die "Schnittstellen" des politisch-administrativen Systems mit den gesellschaftlichen Teilsystemen, insbesondere der Ökonomie" einbezogen sind. Weiterhin gehören dazu "auch die symbolischen Deutungen der Wirklichkeit, die sich kollektive Akteure zu eigen machen, die Relevanzkriterien, die sie an politische Probleme herantragen, und ihre Vorstellung über den möglichen Spielraum an Handlungsalternativen. Entwicklung ist in diesem Rahmen in hohem Maße "pfadabhängig", m.a.W. die kollektiven Akteure bewegen sich innerhalb eines Entwicklungspfades, dessen Spielräume in einem beträchtlichen Maße durch die in der Vergangenheit ausgebildeten Strukturen, überlieferten Situationsdeutungen und eingeübten strategischen Muster bestimmt sind" (Lehmbruch 1996: 118).

Hier wird sehr deutlich, daß mit Governance und regieren unterschiedliche Sachverhalte gemeint sind. Regieren ist Akteurshandeln und insofern in Governance-Strukturen eingebettet. Dadurch, daß Institutionen politische Akteure konstituieren und die Zahl möglicher Problemwahrnehmungen, Kausalinterpretationen (causal maps) und Handlungsalternativen der Akteure ordnen, wird "regieren" erst möglich. Politische Akteure, wie etwa die Bundesegierung, Länderregierungen, die Treuhandanstalt oder die Bundesbank sind durch institutionelle Vorgaben in ihren Zielen, Problemwahrnehmungen und Handlungsoptionen einschließlich ihrer Interaktionsmöglichkeiten soweit festgelegt, daß sich daraus ein Großteil ihres Regierungshandelns erklären läßt (vgl. Mayntz/Scharpf 1995).

Die in der politischen Ökonomie eines Landes verankerten Strukturen institutioneller Koordination oder in Neudeutsch: Governance Mechanismen lassen sich - im Gegensatz zur Auffassung Friedrich Lists - nur unzureichend, zumindest aber nicht rasch durch gezielte Intervention herstellen. Im Normalfall sind sie ein Produkt historischer Entwicklung, in der ökonomische Kräfte und politischer Gestaltungswille zusammenwirken. Ihre Konstitution ist als evolutorischer Prozeß der Herausbildung eines Geflechtes von Transaktionen und Transaktionssregeln zu verstehen, wie er etwa an der Entstehung von Sonderinteressengruppen, Verbänden, staatlichen Ressorts und Politikfeldern sowie an spezifischen sektoralen Regelwerken erkennbar wird (vgl.Lowi 1964: 91). Daraus folgt eine erhebliche Variabilität von sektoralen Strukturen und Koordinationsformen und eben auch von sektoralen Transformationspfaden, auf denen Politikfelder und Sektorzuschnitte neu definiert und alternativen Lenkungsmechanismen unterworfen werden.

Die Transformation sektoraler Koordinationsformen ist ein ständiger, von politischen Interessenkonflikten vorangetriebener Prozeß der Anpassung an sich wandelnde Problemumwelten. Während des Umbruchs in den neuen Bundesländern fanden gleichzeitig im Westen solche Anpassungsprozesse statt. So wurden die Governance Mechanismen der Telekommunikation mit der Reorganisation der Bundespost und der Privatisierung der aus ihr hervorgegangen Deutschen Telekom in einem Ausmaß verändert, das in seiner Tragweite durchaus mit sektoralen Umbrüchen in den Neuen Bundesländer vergleichbar ist. Auch der Übergang der einstigen DDR in eine liberal-demokratisches, marktwirtschaftliches System bestand zu ganz wesentlichen Teilen aus der grundlegenden Veränderung sektoraler Governance Mechanismen. So galt es, Staats- und Parteimedien zu einem System öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten und privater Funk- und Pressemedien umzubauen (vgl. Kapitza 1997, Hepperle 1997), die politisch strukturierte Kombinatswirtschaft in eine marktwirtschaftliche Sektorstruktur zu überführen (Czada 1997) oder anstelle der DDR-Akademieforschung das westdeutsche Forschungssystem auf den Osten auszudehnen (Mayntz 1992). Dies zu bewerkselligen kann nun in mehrfacher Hinsicht als Governance Problem verstanden werden.

Governance Probleme im Vereinigungsprozeß

Ein zentrales Governance Problem ergab sich aus der Verbindung von postsozialistischer Transformation und deutscher Vereinigung. Zwischen dem Aufbau von liberal-demokratischen Basisinstitutionen anstelle sozialistischer Kommandostrukturen und der vereinigungsbdingten Übernahme eines kompletten, außerordenlich komplexen Ordnungssystems besteht ein erheblicher Unterschied. Ersteres, die Transformation im Rahmen von Basisinstitutionen, erlaubt die Herausbildung problemangemessener Lenkungsstrukuren auf der Sektorebene, die im zweiten Fall der Institutionenübertragung von West nach Ost bereits weitgehend prädeterminiert sind. Die marktwirtschaftliche Rethorik der demokratischen und marktwirtschaftlichen Transformation und die staatliche Herstellung der Einheit durch Gesetz standen insofern in einem prinzipiellen Gegensatz.[Fußnote 3]

Ein weiteres Problem lag in der Diskrepanz zwischen der Tabuisierung von strukturpolitischen Diskursen in Parteien, Parlamenten, Verwaltungen und Medien einerseits und dem tatsächlichen Ausmaß strukturpolitischer Intervention andererseits. Weder die Politik, noch Wirtschaftsforschungsinstitute noch der Sachverständigenrat kümmerten sich in ihren Stellungsnahmen und Beiträgen zur Vereinigungspolitik öffentlich um Fragen sektoraler Zuschnitte und Ordnungsformen.[Fußnote 4] Damit sind wohlgemerkt nicht nur Wirtschaftsbranchen, sondern auch der Aufgabenzuschnitt des Staates und staatsnaher Sektoren gemeint: Verwaltungsaufbau, Infrastruktursektoren wie Verkehr, Telekommunikation, Energie, Wasserwirschaft, Forschung, Bildung, Gesundheitswesen und ähnliches. Über den Erfolg des "Aufbaues-Ost" entscheiden sie ebenso wie die sogenannten "Basisinstitutionen".

Der "Aufbau-Ost" folgte strukturpolitischen Entscheidungen, die oft wider Willen und ohne theoretische Reflexion getroffen wurden. Durch die Vermengung von Transformation und Vereinigung ist sogar institutionelle Strukturpolitik in einem Maße betrieben worden, die die Entfaltung basaler Marktmechanimsen und adäquater administrativer Problemlösungen verzögert hat. Insbesondere wurden Sektoren nach dem Vorbild der Bunesrepublik konstitutiert, die der besonderen Problemlage im Osten nicht immer gewachsen waren. Als man dies erkannt hatte, war es vielfach schon zu spät, korrigierend einzugreifen.

Viele der schon 1990 in zahlreichen Regelwerken der Vereinigungspolitik getroffenen Vorgaben zu sektoralen Lenkungs- und Leistungsstrukturen in Ostdeutschland führten zu einer vergleichsweise hohen Regelungsdichte, die mit dem Bild der Übertragung marktwirtschaftlicher Basisinstitutionen als eines institutionellen Gesamtrahmens zur Auslösung sektorale Anpassunsprozesse nicht übereinstimmt. Es dauerte lange, bis Praktiker der Vereinigungspolitik dies bemerkt und daraus gerlernt hatten. Am prägnantesten formulierte dieses Problem der damalige sächsische Innenminister Heinz Eggert (1994: 23):

"Wenn die Bundesrepublik Deutschland 1955 die Gesetzlichkeiten des Jahres 1993 gehabt hätte, dann hätte Ludwig Erhard noch soviele Zigarren rauchen können - der Wirtschaftsaufschwung wäre nie gekommen. Selbst einer der Architekten des Einigungsvertrages, Wolfgang Schäuble, stellt sich mittlerweile die Frage, ob es richtig war, die ganze Rechts- und Verwaltungsordnung von heute auf morgen in die neuen Bundesländer zu übertragen. Hätte man nicht besser Schwerpunkte setzen sollen?"

Warum sind die Gefahren sektoraler Fehlregulierung so spät thematisiert worden? Der Grund wird im Vergleich mit den Transformationsprozessen anderer postsozialistischer Reformstaaten deutlich. Wo dort die nachholende Modernisierung mißlang, mußte umgehend eine unzureichende rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Verfassung als Begründung herhalten. Zum Beispiel erhielt Rußland erst 1994 ein "westliches" Handels- und Wirtschaftsrecht und selbst 1996 gab es noch kein post-sozialistisches Erbrecht, das Privateigentum an Produktionsmitteln erfasst hätte. Bei allen Unzulänglichkeiten handelt es sich hier aber um korrigierbare Fehler und Mängel. Die in Russland und anderen Reformstaaten gebräuchliche Argumentationsfigur eines nationalen Systems in Erprobung ist nun im deutschen Fall nicht in gleicher Weise möglich. Sie könnte nämlich zur Delegitimation des gesamten, in der Nachkriegszeit herausgebildeten nationalen Systems der Bundesrepublik beitragen. Wenn hier eine sektoraler Transformationsprozeß nicht die erhofften Koordinationsleistungen zeitigt, liegt es nicht nur an falschen politischen Entscheidungen. Sektorstrukturen, die als Replikate der Bundesrepublik in den Osten übertragen wurden und dort nicht funktionieren, lassen zumindest Zweifel am Original aufkommen, oder sie verstärken Zeifel, die schon vor der Vereinigung gelegentlich geäußert wurden. Solche Zweifel mögen, bezogen auf Westdeutschland, unberechtigt sein. Für die Funktionfähigkeit der westdeutschen Institutionen in dem völlig anderen Problemumfeld Ostdeutschlands erscheinen sie dennoch gerechtfertigt (Landfried 1995). Die Strukturen und Funktionsweisen der industriellen Beziehungen, insbesondere des Tarifvertragswesens, der sozialen Sicherungsysteme, der Agrarpolitik, der Wirtschaftsförderung standen im Osten Deutschkands vor ihrer Bewährungsprobe. Sie haben sie, wie zu zeigen sein wird, nicht in der Weise bestanden, wie es die maßgeblichen westdeutschen Akteure ursprünglich erwartet hatten. Zweifel an der Leistungsfähigkeit westdeutscher Institutionen waren im Osten, bei Betroffenen und Machern der Vereinigungspolkitik, schon früh verbreitet, wurden aber meist erst dann artikuliert, als sich Defizite der Leistungserbringung in den materiellen Lebensbedingungen niederschlugen, also dann, als die Bundesregierung nicht mehr in der Lage war, die stukturellen Defizite sektoraler Transformationen durch materielle Transfers auszugleichen.

Ein dritter Problemkreis betrifft den ökonomischen Erfolg und die politischen Folgen einer unzureichenden Berücksichtigung von Fragen sektoraler Governance. Die Konfiguration von Sektoren ist im Fall rascher Transformation für Fehlentwicklungen besonders anfällig. Klassiker der Staatswissenschaften und der politischen Ökonomie wie Lorenz von Stein, Jean-Baptiste Say oder Friedrich List hatten den ganzheitlichen Charakter von staatlicher und wirtschaftlicher Entwicklung deutlicher vor Augen als die heutige Wirtschaftspolitik. Ihr Anliegen war ein austariertes "nationales System" der politischen Ökonomie, das sich unter Berücksichtigung seiner internationalen Umelt unter staatlicher Anleitung herausbildet. Insbesondere List sieht in sektoral ungleichgewichtiger Entwicklung die Gefahr nachhaltiger Schädigung der produktiven Kräfte in Staat, Wirtschaft und Kultur. Den wissenschaftlichen Transformationsberatern postsozialistischer Regierungen scheint im Zuge der neoliberalen Wende der achtziger Jahre diese Einsicht völlig abhanden gekommen. Die in Osteuropa tätigen Ratgeber kommen vorzugsweise aus amerikanischen "Brain Trusts" und Investmentbanken, die zum Teil vor Ort, zum Teil über die Weltbank den Transformationskurs beeinflußen oder gar unmittelbar bestimmen. Sie setzten auf wenige Ordnungselemente, namentlich Privateigentum, freier Wettbewerb und Währungsstabilität, und bewiesen wenig Sensibilität für nichtmaktliche, institutionelle Koordinationsformen.

Der institutionelle Ansatz kann Transformationsprozesse nicht vollständig erklären. Zur Erklärung der Vereinigungspolitik müssen grundsätzlich drei Faktorenbündel herangezogen werden: institutionelle, interessenpolitische und situative. Interessenkonstellationen und situative Gelegenheitsstrukturen können die institutionelle Verhaltenssteuerung gefährden, wenn mächtige Akteure zur Erlangung eines höheren Nutzens aus bislang üblichen Koordinationsstrukturen ausbrechen. Im Prozeß der deutschen Vereinigung ist dies sehr oft versucht worden. Die Karnkenkassen wollten im Zuge der Vereinigung Reformen am westdeutschen Gesundheitssystem durchsetzen (Manow 1994). Vertreter von Arbeitgeberverbänden wollten mit der Kündigung des Stufentarifvertrags der Metallindustrie in den neuen Bundesländern gleich das ganze System der Flächentarifverträge aushebeln (Lehmbruch 1994, Czada 1997). Die westdeutsche Elektrizitätswirtschaft nutze eine Schwäche der letzten DDR-Regierung, um mit dem Abschluß der sogenannten "Stromverträge" ein Monopol von der Stromerzeugung bis zur Steckdose zu errichten und damit die Kommunen auszuschalten (Richter 1997). Hier zeigen sich rationale Handlungsgründe, deren Verständnis, neben der Kenntnis der institutionellen Rahmenbedingungen die Rekonstruktion von konkreten Entscheidungssituationen voraussetzt.

Die Erklärung unterschiedlicher sektoraler Transformationspfade

Der Governance Ansatz soll nicht nur die Probleme der Transformation erkennen lassen, sondern auch zur Erklärung unterschiedlicher Transformationspfade beitragen. Die meisten sektoralen Transformationspfade waren durch den Einigungsvertrag und frühe Abmachungen der maßgeblichen westdeutschen Akteure vorausbestimmt. Auf dieser Basis wurden die Sektorstrukturen im Forschungs- und Hochschulwesen, im Rundfunk und Telekommunikationsbereich oder im Gesundheitswesen der neuen Bundesländer noch im Vereinigungsjahr 1990 nach dem Vorbild der Bundesrepublik umgebaut. Dagegen blieben sie in vielen Industriebereichen bis weit in die neunziger Jahre offen.[Fußnote 5] Im Unterschied zu staatsnahen Sektoren enthalten die Regelwerke der Vereinigungspolitik kaum Vorgaben zur Transformation und künftigen Gestalt marktnaher Wirtschaftsbranchen. Die Größe und der künftige Stellenwert einzelner Industriezweige konnten - da man die sozialistische Planwirtschaft überwinden wollte - nicht politisch verfügt werden, und sie konnten - solange funktionsfähige Märkte fehlten - ebensowenig von ökonomischen Wettewerbsmechanismen geschaffen werden.

Grob unterteilt können drei Gruppen von Wirtschaftssektoren mit je eigener Transformationstypik unterschieden werden: großtechnische Infrastruktursektoren, Dienstleistungsbranchen und die verarbeitende Industrie.

Der marktwirtschaftliche Umbau der Dienstleistungssektoren Handel und Banken verlief rasch und beeinhaltete im wesentlichen eine Gebietserweiterung für die westdeutschen Anbieter. Soweit Änderungen der Leistungsstruktur eintraten, waren sie nicht in erster Linie vereinigungsbedingt: Wenn sich etwa der Handel in Einkaufzentren und bevorzugt in Randgebieten der Städte ansiedelte, so war dies keine ostdeutsche Eigenheit sondern die Ausweitung einer Marktentwicklung, die so auch auf Westdeutschland zutrifft. Die Investoren konnten allerdings diesem Trend in den neuen Bundesländern ungehemmt folgen, während sie in Westdeutschland mit politischem Widerstand der Kommunen rechnen mußten. Die Ursache veränderter Leistungsstrukturen läßt sich insofern nicht sektoral isolieren, sondern hängt mit Veränderungen in anderen Tranformationsfeldern wie etwa dem der Kommunalverwaltung zusammen (vgl. Jacobsen 1997).[Fußnote 6]

Großtechnische Infrastruktursektoren wie Telekommunikation, Energieversorgung, Wasserwirtschaft stellen quasi-öffentliche, weitgehend netzgebundene Güter bereit. Sie sind vergleichsweise staatsnah organisiert.[Fußnote 7] Regulative Vorgaben, öffentliche Direktbeteiligungen und vor allem die kartellförmige Selbstorganisation eröffneten zum Beispiel im Energiesektor die Möglichkeit von Verhandlungen, die in vielen Industriesektoren nicht gegeben war (vgl. Richter 1997). Noch interventionsfreundlicher sind reine Monopolstrukturen wie der Kalibergbau, dessen Transformation durch einen einzigen umfangreichen Privatisierungsvertrag der Treuhandanstalt mit dem westdeutschen Unternehmen "Kali und Salze" geregelt wurde. Wie der Dienstleistungssektor profitierten im übrigen die Infrastruktursektoren von einer ihnen eigenen regional und lokal gebundenen Nachfrage (Wegner 1996: 18): Die Unternehmen mußten vor Ort investieren, um ihre Kunden bedienen zu können.

In staatlich organisierten und staatsnahen Sektoren konnte sich die die Politik bestehender Lenkungsmechanismen bedienen. Da zum Beispiel Post, Fernmeldewesen und Eisenbahn zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung noch in hoheitlicher Verwaltung lagen, konnten sektorale Transformationspfade dekretiert werden. In krassem Gegensatz zu staatsnahnen Sektoren stehen marktnahe Industriesektoren wie der Maschinenbau sowie marktnah organisierte, einer kollektiven Mengenregulierung unterworfene, sogenannte sensible Branchen wie die Stahl- und Schiffbauindustrie.[Fußnote 8] Sie produzieren Güter, die weltweit gehandelt werden und nach Vorstellungen der Treuhandanstalt die Exportbasis der neuen Bundesländer bilden sollten. Ihr Umbau hatte zum Ziel, vergleichsweise ineffiziente Unternehmens- und Sektorstrukturen so zu modernisieren, daß sie im globalen Wettbewerb bestehen konnten. Die Transformationsaufgabe der Treuhandanstalt bestand zunehmend darin, nicht nur private, sondern in erster Linie überlebensfähige Unternehmen zu schaffen. Das ehrgeizige Ziel eines raschen industriellen Aufholprozesses ist indessen - wenn man die Diskrepanz von Erwartung und Erfolg intersektoral vergleicht - von allen Transformationzielen am wenigsten erreicht worden (Hoffmann 1993, Wegner 1995, 1996, Welfens 1996). Die Gründe dafür sollen im nächsten Abschnitt erörtert werden.

Spezielle Widrigkeiten der Systemtranformation in Ostdeutschland

Bei der marktwirtschaftlichen Transformation der Neuen Bundesländer sind fünf Problemkreise hervorzuheben, die den "Aufbau-Ost" von vorangegangenen westdeutschen Erfahrungen industrieller Strukturpolitik deutlich unterscheiden: 1. Die Tätigkeit der Treuhandanstalt als Transformationsagentur; 2. Das Unvermögen der neuen Länder in der Wirtschaftsstrukturpolitik; 3. Veränderungen herkömmlicher Konflikregelungsmuster zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern; 4. Die Entstehung eines zweiten Arbeitsmarktes im Gefolge einer Krise der Industrietransformation; 5. Die aus den Kosten des industriellen Aufbaues resultierenden finanziellen Grenzen der Staatsintervention.

Im folgenden werde ich auf die Punkte eins bis drei im einzelnen, auf die Punkte vier und fünf jedoch nur am Rande eingehen. Die hier angesprochene Arbeitsmarkt- und Finanzkrise der neuen Bundesländer ist nämlich nicht Ursache. sondern Folge von, gemessen an ihrem Anspruch, mißlungenen sektoralen Transformationspolitiken. Als ursächliche Hemmnisse kommen Finanzierungsprobleme erst in späteren Phasen der Vereinigungspolitik zum Tragen. Die Finanztransfers in die neuen Bundesländer waren nämlich bis 1995 so reichlich, daß ein rascher Mittelabfluß und eine effiziente Mittelverwendung vielfach nicht gewährleistet werden konnte (vgl. Czada 1995a). Lange bevor fiskalpolitische Engpässe auftraten erwiesen sich die Treuhandanstalt, die strukturpolitische Paralysierung der neuen Länder und die industriellen Beziehungen als Haupthindernisse einer auf schnelle Ost-West Angleichung zielenden industriellen Transformationsstrategie.

Die Rolle der Treuhandanstalt

Der Treuhandkomplex, ein Geflecht aus staatlichen und parastaatlichen Instanzen, politischen Koordinationsgremien, Verbänden und Unternehmen, das mit den politischen Programmen zum Aufbau-Ost[Fußnote 9], und aus praktischen Alltagserfordernissen des Vereinigungsmanagements um die Treuhandantalt entstanden war (vgl. Czada 1993), verkörperte ein durchaus eigenständiges Gebilde institutioneller Steuerung. Einerseits lebte in der Treuhandanstalt die Wirtschaftsstruktur der DDR fort. Die Zugehörigkeit von Unternehmen zu THA-Branchendirektoraten stand früheren Kombinatsstrukturen näher als der in Westdeutschland geläufigen Branchengliederung. Versuche, dies zu ändern, waren nicht immer erfolgreich, weil Strukurreformen und Zuständigkeitsverlagerungen in der THA laufende Privatisierungsverhandlungen erheblich stören konnten. Die häufige Unternehmerklage, daß in der Treuhandanstalt ständig Zuständigkeiten verschoben würden, geht auf treuhandinterne Versuche sektoraler Reorganisation zurück. Meist handelte es sich um spontane, zwischen einzelnen Direktoraten und ihren Privatisierern vereinbarte Umgruppierungen. Die Struktur, nicht die Praxis, der Planwirtschaft konnte auch auf der Ebene der THA-Niederlassunen fortleben. Die Niederlassungen befanden sich in den 15 Bezirkshaupstädten der DDR. Zu ihrem Unternehmensbestand zählten Mittel- und Kleinbetriebe, die oft Teile bezirksgeleiteter Kombinate gewesen waren. Das nachgeordnete Personal, Akten und Gebäude einschließlich der Zuständigkeit für einzelne Unternehmen entstammten der bezirklichen industriellen Lenkungsstruktur.

Der Treuhandanstalt die institutionelle Erbschaft der sozialistischen Planökonomie anzulasten (Seibel 1995) trifft trotz aller Parallelen, die bei einem reinen Strukturvergleich hervortreten, den Kern der Sache nicht. Bei ihr handelte sich um eine durchaus eigenständige Form industrieller Governance, deren Handlungsregeln und Entscheidungspraxis hauptsächlich von Gepflogenheiten westdeutscher Branchen und von einem einzigartigen Gemisch aus Handlungsutonomie im Einzelfall, einer "weichen" Budgetgrenze und vielfältigen politischenVernetzungen bestimmt war. Die Treuhandanstalt war rechtlich kein Unternehmen, obwohl sie unternemerisch tätig wurde, und faktisch keine Behörde, obwohl sie als Anstalt des öffentlichen Rechts verfasst war, am wenigsten aber eine sozialistische Planbürokratie, obwohl sie an deren Strukturen in mancher Hinsicht anknüpfen mußte. Man hat einzelne ihrer Entscheidungen als Rückschritt in zentralistische Lenkungsstrukturen interpretiert, insbesondere den Verzicht auf die Bildung der im Treuhandgesetz vorgesehenen Treuhand-Aktiengesellschaften. In diesen Branchenholdings sollten bis zu 2.000 Unternehmen zusammengefasst werden (vgl. Kemmler 1994: 218-222). Angesichts der starken Autonomie von Aktiengesellschaften auch gegenüber den Anteilseignern wäre dies einer Entmachtung der Treuhandzentrale gleichgekommen und hätte zudem die in den Aufsichtsräten vertretenen Gewerkschaften gestärkt. Ob der Verzicht auf Branchen-AGs und die damit zusammenhängende Aufwertung der THA-Niderlassungen einen Vorgang der Zentralisierung oder Dezentralisierung darstellt, ist nicht leicht zu beantworten und für unsere Fragestellung eher nachrangig. Viel wichtiger ist der Enfluß dieser Entscheidung auf die Herausbildung sektoraler Wirtschaftsstrukturen und Lenkungsmechanismen.

Der Weg zu einer stabilen, Branchengliederung wäre vermutlich über die im Treuhandgesetz vorgesehenen Branchen-AGs kürzer und schneller verlaufen. Auf dieser Basis hätten sich schon vor der Privatsierung des Unternehmensbestandes sektorale Struktuen bilden können. Die Zuordnung von Unternehmen zu Branchen-AGs wäre eine Vorentscheidung über diese Struktur gewesen, über die sich der erste Präsident der THA, Reiner Maria Gohlke erfolglos den Kopf zerbrochen hatte. Sein Nachfolger, Detlev Karsten Rhowedder, wollte genau diese Vorentscheidung verhinern. Seine Befüchtung, das sich im Herrschaftsbereich dieser Mammutkonzerne alte Unternehmenszusammenhänge dauerhaft etablieren und sich der Privatisierung entziehen könnten, war der Hauptgrund, sie nicht einzurichten.Tatsächlich hätten innerhalb dieser Branchen-AGs, deren Konzeption wie die Kombinatswirtschaft Elemente segmentärer Differenzierung enthielt, die Austauschstrukturen der DDR-Wirtschaft leichter fortbestehen können als unter dem Regime des Treuhandkomplexes, in dem Betriebe rücksichtslos zerpflückt und nicht selten sogar in der Form einzelner Abteilungen privatisiert wurden. Die Branchen-AGs hätten freilich über kurz oder lang ebenfalls Teile abgeben oder stilllegen müssen, und sie wären in strategische Allianzen innerhalb des früheren DDR-Wirtschaftsgebietes sowie mit westsdeutschen und ausländischen Unternehmen eingetreten. Die Befürchtung, daß sich diese ostdeutschen Industriegruppen verselbständigen und zu ernsthaften Konkurrenten westdeutscher Unternehmen entwicklen könnten, war damals - im Sommer 1990 - ein ständig mitbedachter, in der westdeutschen Öffentlichkeit aber tunlichst verschwiegener Entscheidungsgrund. Heute weiß man, daß diese "Gefahr" kaum bestanden hat. Vor der staatsrechtlichen Vereinigung, als der Wert der DDR-Industrie noch auf bis zu 1.000 Milliarden Mark geschätzt wurde, Bund und Länder über die Verteilung von Privatisierungserlösen stritten, und Gewerkschaften wie Arbeitgeber eine rasche Angleichung von Produktivität und Einkommen gerade im Maschinenbau anstrebten, war es auch Angst vor unkontrollierbaren Konkurrezunternehmen, die zum Verzicht auf die Branchen-AGs bewogen hatte.[Fußnote 10]

Die Schwäche der neuen Bundesländer

Mit zunehmenden ökonomischen Transformationsproblemen und einer Ausweitung der Staatsintervention in Krisenbranchen und -regionen wuchs der Abstimmungsbedarf zwischen Bund, Treuhandanstalt und Ländern und zugleich verschärften sich die Kompetenzkonflikte und Koordinationsprobleme zwischen diesen Akteuren. Die Treuhandanstalt, die ihr Handeln am ehesten an einem strukturpolitischen Konzept hätte orientieren können, verhielt sich nicht zuletzt aus verfassungspolitischen Gründen zurückhaltend. Die Verwendung des Begriffes Strukturpolitik war geradezu tabuisiert, weil sie einen schwelender Kompetenzkonflikt mit den neuen Bundesländern provoziert hätte. Nach dem Grundgesetz (Art. 91a GG) wirkt der Bund in der Wirtschaftsstrukturpolitik bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, "wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist". Diese Bedingung war hier zweifellos gegeben. Tatsächlich war aber das Mitwirkungsverhältnis umgekehrt: Nicht der Bund sondern die Länder konnten an Entscheidungen der Treuhandanstalt allenfalls mitwirken, und selbst dies nur eingechränkt. Die Treuhandanstalt bestand nämlich in solchen Fällen auf Finanzierungsbeiträgen und geteilter Folgenverantwortung, welche die Länder mit Ausnahme Sachsens in den allermeisten Fällen nicht übernehmen wollten - umso weniger als die Kosten der ökonomischen Transformation bereits 1991 unübersehbar geworden waren (vgl. Freese 1995: 64, Nägele 1995).

Gegenüber der Treuhandanstalt traten auch die alten Bundesländer als Interessenten auf, wie der folgende Fall zeigt: Die renommierte Schweinfurter Firma Kugelfischer wäre 1992 beinahe an ihrem zunächst vielversprechenden Ost-Engagement gescheitert. Sie übernahm in den neuen Bundesländern sehr rasch neun Kugellagerfabriken und stand nachher - mit der globalen Konjunkturkrise des Maschinenbaues - nahe am Konkurs. Nur eine auf Druck der bayerischen Staatsregierung erreichte Vertragsrevision mit der THA konnte den westdeutschen, bayerischen Standort retten. Dabei hatte der damalige Ministerpräsident Streibl seinen Parteifreund und Bundesfinanzminister Theo Waigel, der die Rechts- und Fachaufsicht der Treuhandanstalt ausübte, direkt eingeschaltet. Eine hochgradige Politisierung von Entscheidungen ist also nicht nur bei den großen Werften- , Chemie- und Stahlprivatisierungen, sondern auch in Einzelfällen des ostdeutschen Maschinen- und Anlagenbaues zu beobachten.

Veränderungen industrieller Konfliktregelung

Neben der Treuhandkonstruktion und ihrer politischen Vernetzung ist die Entwicklung der industriellen Beziehungen in Ostdeutschland für den Verlauf der industriellen Tansformation der wichtigste Erkläungsfaktor. Die institutionelle Steuerung (Governance) von Industriesektoren besteht in Deutschland zu wesentlichen Teilen aus verbandlicher Selbststeuerung. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Industrievereinigungen regulieren wichtige Bereiche autonom oder im Austausch mit staatlichen Instanzen. Das von "neokorporatistischer" Interessenvermittlung und "materieller Ökonomisierung" der Politik geprägte Arrangement, das seit den siebziger Jahren auch als Modell Deutschland (vgl. Esser/Fach/Väth 1980, Scharpf 1987: 154-182) bezeichnet wird, geriet im Gefolge der ökonomischen Vereinigungskrise des Jahre 1992 unter massiven Rechfertigungsdruck.

Die von Bundes- und Landesregierungen, Treuhandanstalt, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden vertretene Strategie einer auf Privatisierung gestützten, sozialpolitisch abgefederten und mit öffentlichen Beihilfen finanzierten Modernisierung altindustrieller Sektoren hatte zum Ziel, marktkonforme Strukturanpassungen mit den Erfordernissen eines sozialen Interessenausgleichs zu vereinbaren. Dies war im "Aufbau-Ost" ungleich schwieriger, als man es vor dem westdeutschen Erfahrungshintergrund voraussah. Insbesondere die industriellen Beziehungen wurden zur "Achillesferse" einer auf schnelle Lohnangleichung und raschen Produktivitätssteigerung zielenden Transformationsstrategie.

Im Februar 1993 kündigten die ostdeutschen Metallarbeitgeber mit Verweis auf die prekäre Wirtschaftslage einen Stufentarifvertrag, der für die metallverarbeitende Industrie eine rasche Angleichung der Ostlöhne an das Westniveau versprochen hatte. Der ursprünglich politisch bestimmte Vertrag sah für die Metallindustrie eine 26prozentige Tariflohnsteigerung im Jahr 1993 vor.[Fußnote 11] Seiner Kündigung war eine Anweisung der Treuhandanstalt vorausgegangen, in der diese ihre Unternehmen anwies, in Abweichung vom Stufentarifertrag für 1993 nicht 23 sondern neun Prozent Lohnsteigerung einzuplanen. Die Arbeitgeberverbände der Metallindustrie in den Tarifbezirken der neuen Bundesländer mußen diese Anweisung als eindeutiges Signal verstehen, zumal sie damals fast ausschließlich von Mitgliedsbeiträgen der Treuhandunternehmen getragen wurden.Da Gewerkschaften und Bundesgierung die Ansicht teilten, daß in Treuhandunternehmen der Steuerzahler als Tarifpartner auftrat, konnten Gewerkschaftsforderungen nach Einhaltung der Tarifautonomie den Zwang nach noch schnelleren Privatisierungen nur verstärken.[Fußnote 12]

Die Auseinandersetzungen um den Stufentarifvertrag der Metallindustrie offenbarte die Stärke des mit den Eigentumsrechten am ostdeutschen Industrievermögen ausgestatteten Staates und die schwache Verpflichtungsfähigkeit der Tarifverbände. Allein die IG-Metall verlor zwischen 1991 und 1995 mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder im Osten. 1995 waren zudem 133.000 ihrer verbliebenen 480.000 Mitglieder arbeitslos. Damit wurde die IG-Metall zur größten Arbeitslosenorganisation Ostdeutschlands (Schroeder 1996: 28). Da weitere 96.000 IG Metall Mitglieder Vorruhstandsgeld oder Altersrente bezogen, stand fast die Hälfte der verbliebenen Mitglieder in keinem Arbeitsverhältnis, wodurch die Tarifpolitik erheblich erschwert wird.

Die Arbeitgeberverbände litten von Anfang an unter internen Organisationskonflikten und seit 1993 verstärkt auch unter einem gravierenden Mitgliederschwund (vgl.Henneberger 1993, Ettl/Heikenroth 1996). Zwischen Winter 1993/94 und Frühjahr 1995 sank der Organisationsgrad in tariffähigen Arbeitgeberverbänden von 36 auf 26 Prozent der Unternehmen, die allerdings aufgrund ihrer Größe immer noch 61 Prozent der Beschäftigten auf vereinen konnten (DIW 1995: 47). Austritte waren vornehmlich nach der Privatisierungen von Klein- und Mittelbetrieben zu verzeichnen, wobei Ex-Treuhandunternehmen im Eigentum westdeutscher oder ausländischer Unternehmen und darunter wiederum vor allem Großunternehmen einen nach wie vor hohen Organisationsgrad aufweisen. In Ostdeutschland beheimatete eigenständige Unternehmen waren dagegen 1995 nur zu 19 Prozent, im Falle von Neugründungen sogar nur zu 13 Prozent in Arbeitgeberverbänden organisiert (DIW 1995: 47, vgl. Schroeder 1996: 32-33; Ettl/Heikenroth 1996).

Betrachtet man Mitgliederverluste der Gewerkschaften, insbesondere der IG-Metall in den neuen Bundsländern, anhaltende Austrittsdrohungen von weiteren zehn Prozent der in Arbeitgeberverbänden organisierten Unternehmen[Fußnote 13] und einen im Sommer 1996 zwischen dem selbständigen "Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie" (VMSE) und dem Christlichen Gewerkschaftsbund, einem Konkurrenzverband zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), abgeschlossenen Flächentarifvertrag (Schroeder 1996: 34) im Zusammenhang, so zeigt sich, daß das wohlgeordnete Nachkriegsmodell industrieller Beziehungen in Ostdeutschland stark gefährdet, wenn nicht schon verfallen ist. Die institutionellen Governance-Mechanismen von Industriesektoren erwiesen sich damit als höchst verletztlich - und zwar umso mehr, je länger sich der Aufbau-Ost hinzog. Die Tragweite dieser spezifisch ostdeutschen Entwicklung wird besonders deutlich, wenn Verbandsaustritte, etwa von Jenoptik in Jena, propagandistisch inszeniert werden, Sogwirkungen auf andere Unternehmen ausüben und so immer weitere Austritte nach sich ziehen. Die Verbandsflucht unterliegt einer potentiellen Eigendynamik, die ähnlich dem Auszug der Ärzte aus den ostdeutschen Polykliniken (vgl. Manow in diesem Band) das korporatistische System der industriellen Beziehungen rasch und für die beteiligten Verbandsakteure unerwartet zum Einsturz bringen könnte.

Das korporatistische "Modell Deutschland" hat weiterhin durch die Stellung ausländischer Großinvestoren in den neuen Bundesländern seine einstige Bedeutung eingebüßt. In der ostdeutschen Großindustrie sind Unternehmen involviert, die sich über die Gepflogenheiten des westdeutschen "Makrokorporatismus" hinwegsetzen. Der norwegische Schiffbaukonzern Kvaerner wollte zunächst nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes werden, sondern Haustarifverträge abschließen. Der französische Mineralölkonzern Elf-Aquitaine umgeht mit Hilfe der französischen Regierung korporatistische Konzertierungsnetzwerke durch Direktkontakte zum Kanzleramt. Der belgische Stahlkonzern Cockerill-Sambre nutzt privilegierte Beziehungen zur Europäischen Kommission. Weit stärker als in staastnahen Sektoren entscheiden schwer kalkulierbare, europäische und globale Vorgänge über Erfolg oder Mißerfolg politischer Maßnahmen.

Institutioneller Wandel als Problem institutioneller Theorie

Die Abkehr vom "Modell Deutschland" im Vereinigungsprozeß kann aus Interessenkalkülen der maßgeblichen Akteure besser erklärt werden als aus Eigengsetzlichkeiten und Beharrungskräften von Institutionen. Der politikwissenschaftliche Governance Ansatz betont demgegenüber die Stabilität institutioneller Arrangements. Politisches Handeln, namentlich die Formulierung und Ausführung politischer Programme bewegt sich in einem historisch gewachsenen Erfahrungsraum, dem die Akteure - so die Hypothese des neo-institutionalistischen Governance-Ansatzes - weit stärker folgen als rationalwahltheoretische Handlungstheorien gemeinhin annehmen. Ein praktisch und theoretisch ungeklärtes Problem sehe ich daher in der Erklärung von Wandel und Anpassung innerhalb des neo-institutionalistischen Analyserahmens. Die neo-institutionalistische Zuspitzung läßt den Governance-Ansatz bisweilen als eine besonders elaborierte Persistenzhypothese erscheinen: Je mehr der Ansatz erklären kann, desto weniger Anpassungen an die Herausforderungen einer turbulenten Problemumwelt sind zu erwarten oder gar - wenn diese Anpassungen doch eintreten - mit diesem Ansatz erklärbar. Dies ist für sozialwissenschaftliche Theorien höchst unbefriedigend. Gerade Transformationstheorien können darauf nicht bauen. Der Governance-Ansatz müsste daher Aspekte der Institutionalisierung, d.h. des institutionellen Wandels, stärker berücksichtigen.

Allein die Umbrüche in den ost- und mitteleuropäischen Staaten machten deutlich, daß rasche und weitreichende institutionelle Wandlungsprozesse bis hin zum Verfall ganzer Governance-Systeme möglich sind. Gerade der früheren DDR- und Osteuropaforschung kann man den Vorwurf machen, sie hätte sich von Prozessen erfolgreicher Institutionalisierung und pfadabhängiger Entwicklung täuschen lassen. Nicht zuletzt aufgrund ihrer durch theoretische, wenn nicht ieologische Dispositionen gestützte Stabilitätsanahmen ist die Wissenschaft von der Dynamik der Zusammenbruchs und der Erneuerung überrascht worden.

Zwar wird der neo-institutionalistische Governance-Ansatz - anders als etwa die funktionalistischen Konvergenztheorien der sechziger und siebziger Jahre - gegenüber spekulativen Entwicklungsszenarien und Zukunftsentwürfen immer zur Vorsicht mahnen, da er von einem institutionell begrenzten Handlungsrepertoire der maßgeblichen Akteure ausgeht. Umso mehr sollte aber die Auseinandersetzung der institutionellen Akteure mit ihrer Problemumwelt erforscht werden. Man wird dann darauf stoßen, daß politische Verbände jeglicher Art nicht nur in Netzwerke wechselseitiger Abhängigkeit eingebunden sind, sondern auch Mitglieder haben, die sich aufgrund eigener Nutzenkalküle aus verfestigten Strukturen und Koordinationsmechanismen ausklinken können (vgl. Lehmbruch 1996: 137-141). Eine fortschreitende soziale und politische Differenzierung, wie man sie in der DDR seit den sechziger Jahren beobachten konnte, hat in einem eigenartigen Mischungsverhältnis sowohl quasi-feudale als auch industriegesellschaftlich differenzierte, moderne Gesellschaftsstrukturen hervorgebracht. Beide Strömungen waren aber weit weniger folgenträchtig als die im Westen einhergehenden lebensweltlichen Veränderungen, namentlich die Informalisierung und Individualisierung, damit auch der schleichenden Entpolitisierung der Gesellschaft. DDR-Bürger hatten offenbar je eine private und öffentliche Präferenzordnung parat, die sie nach Bedarf wechseln konnten (Kuran 1991). Im Staat und in den gesellelsschaftlichen Organisationen handelten sie öffentlich, und zogen sich ansonsten in eine Privatsphäre zurück. Nur die politischen Eliten glaubten noch an das was sie öffentlich vertraten - und selbst hier scheint es - wenn man den postrevolutionären Bekenntnissen von Parteifunktionären glauben darf - Ausnahmen gegeben zu haben.

Politische Eliten, genauer: die Führungspersonen politischer Verbände, sind oft stärker am Erhalt eingespielter Governance-Mechanismen interessiert als Verbandsmitglieder, die unter einem unmittelbaren äußeren Anpassungsdruck oder Anpassungssog stehen. Die gilt insbesondere in Umbruchsationen. Die Spannung zwischen der Verhandlungslogik in Interorganisationsbeziehungen, die von institutionellen Lenkungsmechanismen besonders geprägt sind, und der Vertretungslogik im Intraorganisationsbereich (zwischen politischen Vertretern und ihrer Gefolgschaft) nimmt bei turbulenten Problemumwelten zu (Czada 1997). Die betroffenen Akteure sind dann versucht, individuelle Anpassungsstrategien zu erproben anstatt auf abgestimmte, kollektive Problemlösungen zu warten. Dadurch können etablierte Akteursysteme und institutionelle Lenkungsstrukturen beschädigt werden (Czada 1995b). Gerade in Situationen äußerer Herausforderung und starken Anpassungsdrucks drohen vernetzten korporativen Akteuren die "Fäden" zu entgleiten, von deren Manipulation sie sich gerade in dieser Lage Problemlösungen erhoffen könnten.

Inwieweit unter Anpassungsdruck etablierten Regeln gefolgt wird (nenen wir dies Reaktionstyp 1), individuelle Ausweichstrategien erprobt werden (Reaktionstyp 2), oder kollektive Lernprozesse eine Veränderung bestehender Lenkungsstrukturen bewirken können (Reaktionstyp 3), erscheint als eine empirische Frage. Bei näherer Betrachtung kommen jedoch einige theoretische Feinheiten zum Vorschein. Die erstgenannte Möglichkeit mag als ein Beispiel minimaler Lernperformanz gelten. Gleichwohl kann es für die beteiligten Akteure rational sein, neuen Herausforderungen zunächst einmal mit herkömmlichen Problemlösungen zu begegnen. Dadurch erhalten sie die Vorteile wechselseitiger Berechenbarkeit, wie sie nur etablierte Regelsysteme und stabile Akteurstrukturen verbürgen können. Die zweite Möglichkeit - individuelle Ausweichstrategien - könnte bestehene Governance-Mechanismen und Beziehungsnetze leicht stören oder sogar zerstören. Wenn sich einzelne, unter Anpassungsdruck stehende Akteure über etablierte Regelsysteme hinwegsetzen, um in Umbruchsituationen entstehende Chancen wahrzunehmen oder aufkommende Gefahren abzuwehren, leidet darunter der soziale Zusammenhalt im Akteursystem. Damit würde die Wahrnehmung der dritten Möglichkeit - kollektiv abgestimmte Anpassung an neue Problemlagen - unmöglich oder zumindest erschwert. Die drei Anpassungswege bestehen demnach nicht unabhängig voneinander, sondern sind unter Governance-analytischen Gesichtspunkten aufeinander bezogen.

Es gibt daher in einer ersten Phase nur zwei Reaktionsmöglichkeiten auf Veränderungen der Problemumwelt: Orientierung an herkömmlichen Problemlösungen unter Beibehaltung bestehender institutioneller Lenkungsstrukturen (1) oder rasche vereinzelte Anpassungsschritte der unmittelbar - vor Ort - betroffenen Akteure bei gleichzeitiger Gefährdung bestehender institutioneller Lenkungsstrukturen (2). Die Frage nach nachhaltigen, kollektiv koordinierten Anpassungen stellt sich realistischerweise erst in einer zweiten Phase. Herrscht in der ersten Phase Reaktionstyp 1 vor, dann bleibt die Möglichkeit einer kontinuierlichen Entwicklung von Lenkungsstrukturen offen. Kommt es dagegen zu wildwüchsigen, disparaten und dezentralen Anpassungsprozessen, dann werden dadurch die Möglichkeiten einer pfadstabilen Weiterentwicklung bestehender Governance-Strukturen zunehmend eingeschränkt. Die politische Situationsbeherrschung schwindet und kann am Ende ganz verloren gehen. Nur die Aussetzung oder Verlangsamung von individuellen Anpassungen in einer ersten Umbruchphase läßt in der Folge alle weiteren kollektiven Anpassungsmöglichkeiten offen (Czada 1995b: xxx-xxx).

Die in den ersten Jahren der Vereinigungspolitik zu beobachtende Orientierung am Herkömmlichen, entspricht nun überwiegend dem hier als Reaktionstyp 1 bezeichneten Muster. Dies gilt ganz sicher für die frühen Maßnahmen zum "Aufbau-Ost", insbesondere für das "Gemeinschaftswerk Aufbau-Ost" (vgl. Czada 1995b: ). Der durch "Wildwuchs" und Dezentralität gekennzeichnete Reaktionstyp 2 ist indessen ebenfalls verteten. Im Umfeld der Treuhandanstalt (THA) hatten einzelne Treuhandunternehmen und Betriebsräte, betrieblichen Kündigungschutz und hohe Abfindungen für den Fall von Arbeiskräftefreisetzungen vereinbart; immer mit der Erwartung, die Treuhandanstalt als Eigentümerin würde dafür aufkommen. Rechtlich war dagegen nur wenig auszurichten, da es sich um gesellschaftrechtlich selbständige Aktiengesellschaften und GmbHs handelte. Die Problemlösung lag hier im Rückgriff auf das in Westdeutschland bewährte kollektivvertragliche System der Arbeitsbeziehungen. Durch die Einschaltung von Gewerkschaften und Arbeitgeberveränden konnte das Problem dezentraler Anpassungsreaktionen gelöst werden. Der Rückgriff auf das "korporatistische Strategierepertoire" erfolgte hier nicht aufgrund von institutionellen Beharrungskräften. Vielmehr diente er dem von allen maßgeblichen korporativen Akteuren verfolgten Ziel der Kontrolle und Vereinheitlichung dezentraler Anpassungsreaktionen. Der neo-institutionalistische Ansatz muß daher zumindest für diesen Fall durch eine nutzenthoretische Erklärung ergänzt werden.

Zusammenfassung

Zwischen der Übertragung von liberal-demokratischen, marktwirtschaftlichen Basisinstitutionen und dem Aufbau einer sektoral gegliederten gesellschaftlichen Ordnung besteht ein erheblicher Unterschied; vor allem dann, wenn es, wie im Fall der deutschen Vereinigung, darum geht, eine komplexe Ordnung durch eine andere ersetzen zu müssen. Sektorzuschnitt und sektorale Lenkungsmechanismen der DDR unterschieden sich von denen der Bundesrepublik zum Teil beträchtlich. Das Staatsfernsehen, die Akademieforschung, der Agrarsektor oder die Kombinatsindustrie waren so strukturiert, daß ihre Transformation meist nicht ohne zerstörerische Eingriffe vorankam. Andere Sektoren wie die Post oder die Telekommunikation ließen sich im Vergleich dazu problemloser zuammenfügen.

Die postsozialistische Transformation folgt nicht vornehmlich einer allgemeinen Marktlogik, sondern ebenso einer sektoralen Institutionenlogik, die politischem Handeln enge und vor allem anders geartete Grenzen setzt. Dies bedeutet nicht, daß Marktkräfte keine Rolle spielten. Vor allem in marktnahen, dem globalen Wettbewerb ausgesetzten Sektoren sind effiziente Governance Strukturen überlebenswichtig. Während staatsnahe Sektoren im Vereinigungsprozeß ohne Rücksicht auf Markterfordernisse nach dem Willen der maßgeblichen westdeutschen Akteue und nach dem Vorbild der Bundesrepublik umgebaut wurden, konnte in marktnahen Industriesektoren auch ein enormer Mitteleinsatz den Aufschwung nicht erzwingen. Dafür sind neben kognitiven Festlegungen auf ein für bewährt gehaltenesWirtschaftssystem institutionelle Widrigkeiten verantwortlich.

Die Tätigkeit der Treuhandanstalt; das Unvermögen der neuen Länder in der Wirtschaftsstrukturpolitik und der Dissens über herkömmliche Konflikregelungsmuster zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern generierten Hemmnisse, zu denen zahlreiche weitere Probleme hinzutraten: etwa die Finanzierungs- und Verwaltungsstruktur der Arbeitsmarktpolitik (Czada 1993, 1994), die juristische und verwaltungtechnische Regelung der Restitution von Alteigentum, die Zustimmungsvorbehalte der Europäischen Kommission bei der Privatisierung sogenannter "sensibler Branchen" (Enßer 1996).

Der Governance-Begriff erscheint als ein geeignetes Instrument zur Erklärung von Tansformationsverläufen und generell der Analyse von Prozessen des Politikmachens, einschließlich der institutionellen Entwicklung von Politikfeldern. Die gängige Politikfeldanalyse kennt zwar Politikzyklen und Politiktypen (redistributiv, distributiv, regulativ), nicht aber typische Koordinationsformen, die mit bestimmten Stadien der Poilitikentwicklung und mit Politik- bzw. Problemtypen korrespondieren. Frühe Phasen der Politikformulierung sind zum Beispiel häufig, so auch in der Vereinigungspolitik, durch Strukturen gekennzeichnet, in denen Experten, Beamte und Parteipolitiker in informeller Kooperation ein Problem definieren und bestimmte Lösungsvorschläge erörtern. Solche Netzwerke sind zunächst oft eher "Diskurskoalitionen" als Verhandlungsarenen. Vor allem unter dem Eindruck turbulenter Problemumwelten, versuchen politische Akteure die Unsicherheit der Situation durch vermehrte Kommunikation und wechselseitige Versicherung zu mildern. Im Implementationsstadium, in unserem Fall also im operativen Vereinigungsmanagement, herrschen dann meist entweder die Verwaltungshierarchie, korporatistische Netzwerke oder verbandliche Selbstregelung als Lenkungsstrukturen vor. Soweit es sich aber um lose geknüpfte und für neue Teilnehmer offene Netzerke mit hoher Kommunikationsdichte handelte, konnten auch hier Lernprozesse eintreten, die zu neuen institutionellen und inhaltlichen Problemlösungen führten (vgl.Czada 1995b, Lütz 1997).

Eine Theorie sektoraler Governance Mechanismen erscheint geeignet die drei Faktoren, die das "policy-making" prägen - Akteure, Regelsysteme und Problemumwelten - in einem Erklärungsansatz zusammenzufassen. Die Analyse der Transformations- und Vereinigungspolitik vermag der Forschung auf diesem Gebiet fruchtbare Impulse zu vermitteln, weil in dieser spzifischen Situation nicht nur Politik in etablierten Strukturen gemacht wurde, sondern gleichzeitig diese Strukturen selbst vielfältige Veränderung erfahren mussten.

 
 
 

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Wielgohs, Jan, 1996: Privatisierung versus marktwirtschaftliche Reformpolitik: Optionen der Entstaatlichung des öffentlichen Mietwohnungssektors in Transformationsgesellschaften. In: Helmut Wiesenthal (Hrsg.), Einheit als Privileg: vergleichende Perspektiven auf die Transformation Ostdeutschlands. Frankfurt/Main: Campus Verlag.

Wiesenthal, Helmut (Hg.), 1996: Einheit als Privileg? Vergleichende Perspektiven auf die Transformation Ostdeutschlands. Frankfurt/M: Campus.

Williamson, Oliver, 1975: Markets and hierarchies: analysis and antitrust implications. New York: Free Press.

Williamson, Oliver, 1985: The economic institutions of capitalism. New York: Free Press.

 

Fußnoten

1. Die Jahresberichte der sogenannten "Fünf Weisen", des Sachverständigenrates zur Begtutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage", lassen in der zeit zwischen 1990 und 1993 zunächst Optimismus, dann Zweifel und schließlich eine gewisse Ratlosigkeit erkennen. Auf dem Höhepunkt der ökonomischen Vereinigungskrise heißt es im Jahresbericht 1992/93 des SVR (1992: 179) nur noch lapidar: "Das Vertrauen in den mit viel Zuversicht eingeschlagenen marktwirtschaftlichen Weg ist erschüttert".

2. den allgemeinsten und kürzesten Nenner gebracht, sind Governance Strukturen die institutionelle Basis von Austauschbeziehungen (March/Olsen 1994: 251).

3. den Folgen dieses Schverhaltes: Wiesenthal (1996).

4. solche Fragen diskutiert wurden, beispielsweise im Zusammenhang mit der Überführung der vergleichsweise effizienten Organisation der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in der DDR, blieben sie innerhalb kleiner Zirkel des Vereinigungsmanagements. Zumeist wurden sie dort letztlich, insbesonere in Konfliktfällen, nach dem Vorbild Bundesrepublik und den hier üblichen Strukturen und Verfahren entschieden (vgl. König/Heimann 1997).

5. gilt insbesondere für sektorale Leistungsstrukturen. Der Begriff bezeichnet im Unterschied zur institutionellen Governance beziehungsweise Regelungsstruktur "alle Einrichtungen, die unmittelbar der Erbringung der Leistung eines Sektors dienen". (Mayntz/Scharpf 1995: 17). Im wesentlich wird die Leistungsstruktur durch technische und ökonomische beziehungsweise finanzielle Akteurbeziehungen bestimmt, während mit Regelungsstrukturen die politisch-institutionelle, insbesondere rechtliche Konstitution von Sektoren gemeint ist. Zur Struktur der Leistungserstellung zählen unter anderem Marktstrukturen (Zahl der Marktteilnehmer und ihre Organisationsformen), die Leistungsfinanzierung (Marktpreise, Beiträge, Gebühren, Steuern), die Art der bereitgestellten Güter (homogene, diversifizierte) und des Leistungskonsums (individuelle, kollektive Nachfrage, subventionierte Inanspruchnahme etc.).

6. Handel hat sich die weltweit im Ausbreitung begriffene Straegie des "lean selling" in kooperativen Handlssystemen und filialisierten Großunternehmen so stark durchgesetzt, daß Ostdeutschland inzwischen zum Vorbild für eine sektorale Reorganisation Westdeutschlands geworden ist. Dies ist ein marktstrategisches Konzept, das sich durchsetzte, weil die Kommunen ein exzessives Flächenwachstum in Randlagen nicht nur geduldet, sondern vielfach auch gefördert haben (Jacobsen 1997).

7. Charakterisierung ihrer Produkte als quasi-öffentliche Güter ist nicht in erster Linie technisch gemeint, wie es die Theorie "natürlicher Monopole" nahelegt. Sie gründet vielmehr in einem öffentlichen Versorgungsauftrag, gesetzlich niedergelegte Kontrahierungszwängen und einer regulative Staatsaufsicht, mit denen die Politik auf dem Entscheidungsweg in private Verfügungsrechte zugunsten von Konsumenten eingreift.

8. Genauere Analysen zeigen, daß bereits in der Stahl- und Schiffbauindustrie aufgrund einer eingriffsfruendlicheren Industriestruktur (wenige hochkonzentirerte Unternehmen und Standorte) und einer europaweiten Mengenegulierung (Quotenregime) ein weit größerer Teil der Arbeitsplätze erhalten wurden als zum Beispiel im Maschinenbau (Czada 1997).

9. Netzwerke entstanden um das Gemeinchaftswerk "Aufbau-Ost" (z.B. regionale Aufbaustäbe), aus förmlichen Vereinbarungen zur Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und THA, im Zusammenhang sogenannter THA-Wirtschaftskabinette und THA-Monatsgespräche im Rahmen eines "Frühwarnsystems" zur Information der neuen Länder, um die sogenannte Einkaufsoffensive-Ost und um Initiativen des "Bundesverbands der Industrie zur Rekrutierung von geeignetem Leitungspersonal, um die sogenannte Bankenmillliarde, in der Ludewig-Runde oder um zahleiche Rahmenvereinbarungen, die zwischen THA und Gewerkschaften geschlossen wurden (vgl. Czada 1993)

10. Wie sehr diese Entscheidung "aus dem Bauch" getroffen wurde, zeigt die Tatsache, daß Rhowedder sich erst dann zum Verzicht auf die Branchen-AGs durchrang, nachdem prospektive Vorstandsmitglieder in Berlin ihre Konzepte zum Management und zur Umgestaltung dieser Industriegruppen vorgetragen hatten. Ihr Autonomistreben und Gestaltungswille hatte ihn geradezu erscheckt (vgl.Kemmler 1994).

11. "Die Grundlage dieses Tarifvertrages war die politische (Hervorhebung, R.C) Übereinstimmung der Tarifvertragsparteien, daß insbesondere die Treuhandbetriebe, die auch damals schon die Löhne nicht aus eigener Kraft zahlen konnten, dafür von der Treuhandanstalt mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden sollten". So argumentierte der Justitiar der IG Metall, Prof. Dr. Michael Kittner in einem Gutachten gegen die mit der desolaten Wirtschaftslage begründete Kündigung der Metalltarifverträge in den Tarifbezirken der neuen Bundesländer (Handelsblatt v. 16.2. 1993).

12. Die IG-Metall hatte in Reaktion auf die Anweisung der THA-Zentrale den Stufentarifvertrag nicht zu erfüllen, dem Bundesfinanzminister als Aufsichtsinstanz ein Protestschreiben zugestellt, das unbeantwortet blieb (Interview mit Dieter Schulte, damals stellvertetender Vorsitzender der IG Metall und Mitglied des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt, am 27. Jan. 1993).

13. Nach Befragungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft im Frühjahr 1995 (vgl. DIW 1995: 47).